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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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aber dann ist sein Gesicht mit einmal sehr hell und kalt vor mir, verändert, streng, fremd – ich erkenne ihn nicht mehr und taumele zurück, hinaus.
    Ich weiß nicht, wie ich in mein Zimmer gekommen bin. Mein Kopf ist leer, und kraftlos liegen meine Arme auf den Lehnen des Stuhles.
    Ludwig, ich will nicht mehr. Ich will auch nicht mehr. Was soll ich denn noch hier? Wir gehören ja alle nicht mehr hierher. Entwurzelt, verbrannt, müde – warum bist du allein weggegangen?
    Ich stehe auf. Meine Hände glühen. Meine Augen brennen. Ich fühle, dass ich Fieber habe. Meine Gedanken verwirren sich. Ich weiß nicht mehr, was ich tue. »Holt mich doch«, flüstere ich, »holt mich doch auch!«
    Die Zähne zittern mir vor Frost. Meine Hände sind feucht. Ich taumele vorwärts. Große schwarze Kreise flirren mir vor den Augen.
    Plötzlich erstarre ich. Ging da nicht eine Tür? Klinkte nicht ein Fenster? Ein Schauer durchfährt mich. Durch die offene Tür meines Zimmers sehe ich im Mondlicht neben der Geige an der Wand meinen alten Waffenrock hängen. Ich gehe vorsichtig darauf los, auf Zehenspitzen, damit er nichts merkt, ich schleiche auf diesen grauen Rock zu, der alles zerschlagen hat, unsere Jugend und unser Leben – ich reiße ihn herunter, ich will ihn wegwerfen, aber plötzlich streife ich ihn über, ich ziehe ihn an, ich fühle, wie er durch meine Haut Besitz von mir ergreift, ich fröstle, das Herz schlägt mir rasend hoch im Halse – da zerreißt ein Ton klingend die Stille, ich fahre auf und wende mich um, ich erschrecke, und voll Entsetzen presse ich mich gegen die Wand. –
    Denn im fahlen Licht der offenen Tür steht ein Schatten. Er schwankt und weht, er kommt näher und winkt, eine Gestalt formt sich, ein Gesicht mit dunklen Augenhöhlen, zwischen denen ein breiter Riss klafft, ein Mund, der tonlos spricht – ist das nicht –? »Walter –«, flüstere ich, Walter Willenbrock, gefallen im August siebzehn bei Paschendaele – bin ich denn verrückt? träume ich? bin ich krank? – aber hinter ihm schiebt sich schon ein anderer herein, bleich, verkrümmt, gebeugt; Friedrich Tomberge, dem bei Soissons ein Splitter den Rücken zerschmetterte, als er auf den Stufen des Unterstandes hockte. – Und nun drängen sie herein, mit toten Augen, grau und gespenstisch, eine Schar von Schatten, sie sind wiedergekommen und füllen das Zimmer: Franz Kemmerich, mit achtzehn Jahren amputiert und drei Tage später gestorben. Stanislaus Katczinsky, mit schleifenden Füßen und gesenktem Kopf, aus dem dunkel ein dünner Faden sickert – Gerhard Feldkamp, zerrissen von einer Mine bei Ypern, Paul Bäumer, gefallen im Oktober 1918 , Heinrich Weßling, Anton Heinzmann, Haie Westhus, Otto Matthes, Franz Wagner – Schatten, Schatten, ein langer Zug, eine endlose Reihe – Sie wehen herein, sie hocken auf den Büchern, sie klettern am Fenster hoch, sie füllen das Zimmer –
    Aber plötzlich zerbricht das Grauen und das Staunen in mir – denn langsam hat sich ein stärkerer Schatten erhoben, er kriecht durch die Tür, die Arme aufgestemmt, er wird lebendig, Knochen wachsen hinein, ein Körper schleift hinterher, kreidig leuchten Zähne aus dem schwarzen Gesicht, jetzt funkeln auch schon Augen in den Höhlen – aufgeschreckt wie ein Seehund schleicht er herein, auf mich zu – der englische Hauptmann – hinter ihm schleifen raschelnd die Wickelgamaschen. Mit einem weichen Ruck wirft er sich hoch und krallt die Hände nach mir. – »Ludwig! Ludwig!«, schreie ich, »hilf mir, Ludwig!«
    Ich packe in die Bücherhaufen und werfe sie den Händen entgegen, »Handgranate, Ludwig!«, stöhne ich, reiße das Aquarium vom Ständer und schleudere es in die Tür, krachend zersplittert es – aber er grinst nur und kommt näher, ich schmeiße den Schmetterlingskasten hinterher, die Geige, ich greife einen Stuhl und schlage auf das Grinsen ein, ich schreie »Ludwig! Ludwig!«, ich stürze auf ihn los, ich breche durch die Tür, der Stuhl kracht, ich rase davon, Rufe hinter mir, angstvolle Rufe, aber stärker, näher das jappende Keuchen, er jagt hinter mir her, ich stürme die Treppen hinunter, er poltert hinter mir, ich erreiche die Straße, ich spüre seinen gierigen Atem im Genick, ich renne, die Häuser schwanken. »Hilfe! Hilfe!« Plätze, Bäume, eine Kralle auf meiner Schulter, er holt mich ein, ich brülle, heule, stolpere, Uniformen, Fäuste, Toben, Blitze und das dumpfe Donnern der weichen Beile, die mich zu Boden schlagen!

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