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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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für die Eisenbahn hatten wir kein Geld.«
    Ludwigs Gesicht wird klarer, es sieht fast geheimnisvoll aus, so heiter ist es. »Und dann haben wir Werther gelesen –«, sagt er.
    »Und Wein getrunken –«, erinnere ich ihn.
    Er lächelt. »Und den ›Grünen Heinrich‹ gelesen –. Weißt du noch, wie wir von Judith geflüstert haben?«
    Ich nicke. »Du mochtest nachher aber Hölderlin lieber als alles andere –«
    Ein sonderbarer Frieden ist über Ludwig gekommen. Er spricht leise und weich. »Was hatten wir damals für Pläne, und wie edel und gut wollten wir werden. Wir sind dann eigentlich recht arme Hunde geworden, Ernst –«
    »Ja«, antworte ich nachdenklich, »wo ist das alles geblieben! –« Wir lehnen nebeneinander im Fenster. Der Wind hängt in den Kirschbäumen. Eine Sternschnuppe fällt. Es schlägt zwölf Uhr.
    »Wir wollen schlafen gehen.« Ludwig gibt mir die Hand. »Gute Nacht, Ernst –«
    »Schlaf gut, Ludwig.«
    Spätnachts trommelt jemand gegen meine Tür. Verstört fahre ich auf. »Wer ist da?«
    »Ich, Karl! Mach auf!«
    Ich springe aus dem Bett.
    Er stürzt herein. »Ludwig –«
    Ich reiße ihn heran. »Was ist mit Ludwig?«
    »Tot –«
    Das Zimmer dreht sich. Ich falle auf mein Bett zurück. »Arzt holen!«
    Karl schlägt einen Stuhl auf den Boden, dass er splittert. »Tot, Ernst – Pulsadern aufgeschnitten –«
    Ich weiß nicht, wie ich meine Sachen angezogen habe. Ich weiß nicht, wie ich hingekommen bin. Plötzlich ist ein Zimmer da, grelles Licht, Blut, das unerträgliche Funkeln und Blitzen der Quarze und Kiesel, und davor, in einem Sessel, eine unendlich müde, schmale, zusammengefallene Gestalt, ein furchtbar blasses, spitzes Gesicht mit halb geschlossenen, erloschenen Augen. –
    Ich weiß nicht, was geschieht. Seine Mutter ist da, Karl ist da, Lärm ist da, einer redet auf mich ein, ich verstehe, hier bleiben, ich begreife, sie wollen jemand holen, ich nicke, ich kauere mich in das Sofa, Türen knarren, ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht sprechen, plötzlich bin ich allein mit Ludwig und sehe ihn an –
    Karl war der Letzte, der bei ihm war. Er fand ihn still und fast froh. Als er gegangen war, ordnete Ludwig seine paar Sachen und schrieb eine Zeit lang. Dann rückte er einen Stuhl ans Fenster und stellte ein Becken mit warmem Wasser daneben auf den Tisch. Er verschloss die Tür, setzte sich in den Sessel und schnitt sich die Adern im Wasser auf. Der Schmerz war gering. Er sah das Blut fließen, ein Bild, an das er oft gedacht hatte: dieses verhasste, vergiftete Blut ausströmen zu lassen aus dem Körper.
    Sein Zimmer wurde sehr deutlich. Er sah jedes Buch, jeden Nagel, jeden Reflex der Steinsammlung, das Bunte, die Farben, er empfand: sein Zimmer. Es drängte sich heran, es ging in seinen Atem ein und verwuchs mit ihm. Dann wurde es wieder ferner. Undeutlich. Seine Jugend begann in Bildern. Eichendorff, die Wälder, das Heimweh. Versöhnt, ohne Schmerz. Hinter den Wäldern stieg Stacheldraht auf, die weißen Wölkchen der Schrapnells, der Einschlag schwerer Granaten. Doch sie erschreckten ihn nicht mehr. Sie waren gedämpft, fast wie Glocken. Die Glocken wurden stärker, aber die Wälder blieben. Sie läuteten in seinem Kopfe, so stark, als müsste er gleich zerspringen. Es wurde dabei auch dunkler. Dann wurde es schwächer, und der Abend stieg durch das Fenster, die Wolken schwammen heran, unter seine Füße. Er hätte gern in seinem Leben einmal Flamingos gesehen, jetzt wusste er: diese waren Flamingos, mit weiten rosagrauen Schwingen, viele, ein Keil – zogen nicht einmal Wildenten in einem Keil gegen den sehr roten Mond, rot wie Mohn in Flandern? – Die Landschaft weitete sich mehr und mehr, die Wälder sanken tiefer, silbern glänzten Flüsse herauf und Inseln, die rosagrauen Schwingen flogen immer höher, und immer heller wurde der Horizont – das Meer – – Doch plötzlich stemmte sich noch einmal heiß im Halse ein schwarzer Schrei hoch, ein letzter Gedanke wurde aus dem Hirn in das schwindende Bewusstsein gespült: Angst, Rettung, Abbinden – er versuchte aufzutaumeln, die Hand hochzureißen – der Körper zuckte, aber er war schon zu schwach. Es kreiste und kreiste, dann schwand es, und der riesige Vogel mit den dunklen Fittichen kam sehr leise mit langsamen Flügelschlägen und wehte sie lautlos über ihm zusammen.
    Eine Hand schiebt mich fort. Menschen sind wieder da, sie fassen Ludwig an, ich reiße den Ersten weg, niemand soll ihn anrühren,

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