Der weibliche Weg Gottes
Rucksack — ein Vormittagsspaziergang.
In dem Maße, in dem ich gelassener, friedvoller, liebevoller mit mir umgehe, nähere ich mich meiner Seele, von der ich eigentlich immer angenommen habe, dass es sie gibt, aber nie begriffen habe, was sie für mich in diesem Leben ist — nicht vor diesem Leben, nicht nach meinem Tod, genau jetzt. Und noch etwas ganz Entscheidendes geschieht: Ich mache meinen Frieden mit einer anderen Frau — mit Maria. Was ich am Anfang noch rigoros abgelehnt habe, die Mystifizierung einer Überfrau, später scherzhaft als „meine Maria in der Hosentasche“ bezeichnet habe, bekommt jetzt eine andere Gestalt, wird zur Frau, die es auch nicht immer leicht gehabt hat in ihrem Leben, aber ihren eigenen, ganz speziellen Lebensweg gegangen ist.
Vom Sterben zum Leben — in der Meseta
Gleich hinter Sahagún wird die Landschaft karg, öde, endlos, einsam. Nun beginnt die Meseta, so wird die kastilische Hochebene genannt. Im Sommer brennend heiß, im Winter stürmisch und sehr kalt. Die Erde ist rot und verbrannt, obwohl erst Mai ist. Ich schwanke zwischen Gesellschaft und Natur und wähle statt der Piste — mit genügend Wasser und Rastmöglichkeiten — , auf der die meisten gehen, den Weg über die alte Römerstraße.
Im kleinen Ort vor der Einöde verlaufe ich mich, gehe im Kreis, will schon zurück zu dem belebten Weg. Kein Mensch auf der Straße. Nach der zweiten Runde durch den Ort finde ich den gelben Pfeil. Es wäre ganz einfach gewesen: immer nur gerade aus. Auf den ersten Kilometern halte ich noch Ausschau nach einem anderen Wanderer, aber keiner ist da. Diesen Weg muss ich allein gehen.
So weit das Auge reicht, nur karstige Erde, struppiges Gras, kleine Büsche, kaum Bäume. Die Meseta ist gefürchtet bei denen, die diesen Weg schon einmal gegangen sind, alles ist extrem: die nahezu endlose Weite bis zum Horizont, die sparsame Vegetation, das herausfordernde Klima. Meine Pausen wähle ich je nach Schatten. Wenn ein Baum oder ein Busch da ist, setze ich mich erst einmal hin. Die Mittagshitze ist beinahe unerträglich. Ich verbringe sie in einer kleinen Baumgruppe mit armdicken Bäumchen, die mir etwas Schutz geben. Noch vor gar nicht langer Zeit hat hier Wasser gestanden. Der Boden ist stellenweise feucht und stinkt. Kein schöner Ort für eine erholsame Pause.
Diese Landschaft symbolisiert das Sterben auf dem Weg, hat mir jemand gesagt. Die Pyrenäen sind der Frühling, das Frische, Klare, sind Beginn, Hoffnung, die Knospen zeigen sich. Navarra und Rioja mit ihrem Wein sind die Fülle des Lebens: Die Früchte wachsen, alles öffnet sich. Die Meseta ist das Sterben-Lassen, die Ernte, Platz schaffen für Neues, Ballast abwerfen, den die Vergangenheit angesammelt hat und der nur behindert auf dem Lebensweg.
Und solange du das nicht hast, / dieses: Stirb und werde! / Bist du nur ein trüber Gast / auf der dunklen Erde. (J.W. v. Goethe).
So vieles ist gestorben auf diesem Weg. Ich fühle mich gelassen, die Vergangenheit schweigt, nur selten kommt noch ein Anflug von Zorn. Dann ärgere ich mich über mich und meine übergroße Geduld. Damit kann ich leben, das wird schon vergehen, alles eine Frage der Zeit.
Ich habe mich mit meiner Einstellung zu spirituellen Dingen beschäftigt, über Gott und Kirche in meinem Inneren philosophiert, manchmal auch mit anderen. Es bleibt gar nicht aus, wenn man fast täglich in eine Kirche geht, sich nicht nur ihre Architektur und Ausgestaltung anzusehen, sondern auch in sein eigenes Inneres zu blicken. Da ist einiges Altes wieder hochgekocht, aber nichts, was ich jetzt noch klären müsste.
Ich habe einen wunderbaren Menschen getroffen, der mir gezeigt hat, wie schön es ist, der Welt mit Liebe zu begegnen, und ich habe in diesen Gesprächen wieder einmal für mich erfahren, dass alles mit der Liebe zur eigenen Person beginnt. Ich fühle mich reich und beschenkt, könnte heute aufhören, diesen Weg zu gehen, wäre trotzdem angekommen. Es ist so ein merkwürdiges Gefühl, einerseits bin ich randvoll mit neuen Erfahrungen, andererseits leer.
Kein Tier ist zu sehen, kein Vogel am Himmel, nur weites Land und Einsamkeit. Es ist ganz still. Ich höre nur mich selbst, sonst nichts. Dabei ist die Landschaft nicht feindlich, allerdings fordert sie meine Reserven heraus und zeigt mir meine Verletzbarkeit — aber auch meine Stärke. Wie soll ich meine Mitte finden, wenn ich meine Grenzen nicht kenne, kommt mir in den Sinn.
Bei Abwesenheit von Problemen
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