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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Gerland
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es auf den ersten Blick, nimmt Anteil am anderen, geht immer wieder auf der Wanderschaft Bindungen ein und möchte doch so gerne mal allein sein.
    Am dritten Tag beschließt Henny, dass es nun an der Zeit sei, das Nein endlich einmal auszuprobieren. Und nachdem ich ihr vorher Mut gemacht habe, was liegt da näher, als es bei mir zu machen? So ist das Leben, irgendwann bekommt man all seine klugen Sprüche zurück.
    Schade. Ich habe sie lieb gewonnen und bin voller Dankbarkeit, sie kennen gelernt zu haben. Eine wunderbare, liebe Frau. Eine Frau, die liebt, die verschwenderisch mit ihrer Zuwendung umgeht. Die sich viele Gedanken um andere macht und jetzt lernen will, auch an sich zu denken.
    Und damit öffnet sich das Schloss, für das ich schon seit Tagen einen Schlüssel suche, für das bisher nichts passen wollte: Wirkliches Mitgefühl beruht auf Liebe zu sich selbst und zu anderen. Wenn wir uns selbst weniger lieben als unseren Nächsten, hat Mitgefühl und haben damit seine zwei Ausdruckformen Fürsorge und Hingabe eine Ersatzfunktion. Je mehr wir davon geben, desto besser dürfen wir uns fühlen, macht uns die christliche Religion klar, desto wichtiger, wertvoller scheinen wir zu sein. Das Umfeld sagt: Was für ein wunderbarer Mensch! Diese Wertschätzung macht aber nicht satt, sondern süchtig, wenn wir sie uns nicht auch selbst geben. Je mehr Anerkennung wir im Außen brauchen, desto ärmer wird das Innen.
    Immer wieder begegnen mir auf dem Camino Menschen und Ereignisse, die mir den Anstoß geben, mich mit mir und der Verarbeitung meiner Geschichte zu beschäftigen. Durch Henny bin ich angestoßen worden, darüber nachzudenken, wie es um meine Fähigkeit zu lieben und Mitgefühl zu schenken, bestellt ist. Gleichzeitig konnte ich für mich prüfen, wie gut es mir mittlerweile gelingt, einen Menschen loszulassen, der mein Herz berührt hat.
    Psychologische Erfahrungen und erstes buddhistisches Wissen fließen zusammen, ergänzen sich. Vielleicht könnte ich alles, was mir hier passiert, auch nur mit dem einen oder mit dem anderen erklären? Diesen Gedanken verwerfe ich wieder. Von der Psychologie verstehe ich eine Menge, in den Buddhismus dringe ich gerade erst ein. Psychologie ist eine Wissenschaft, die mit einem klaren Verstand Verhalten, Gedanken und Gefühle analysiert, beschreibt und Konzepte zur Bearbeitung bereithält. Damit spricht sie den Kopf an. Das habe ich auf dem Camino reichlich gemacht: mit dem Kopf meine Gefühle betrachtet und verarbeitet.
    Wenn es aber um Liebe und Mitgefühl geht, stoße ich an die Grenzen meiner Konzepte. Zwar gibt es in der Psychologie den Begriff der Empathie, der oft mit Mitgefühl übersetzt wird, aber mehr im Sinne einer Technik, die den Zugang zum anderen erleichtert.
    Wenn das Mitgefühl aus der Liebe entspringt, dann ist es keine Emotion im herkömmlichen Sinne wie Freude, Ärger, Schmerz, Traurigkeit — dann ist auch Mitgefühl ein Teil unser Seele, genau wie Liebe.
    Körper und Geist, damit habe ich mich beschäftigt. Die zwei Dimensionen des Selbst, die Veränderungen unterliegen aufgrund von äußeren Umständen, Krankheit, Verlust. Aber was ist mit der Seele? Wie kann ich fühlen, ob ich eine Seele habe? Und bin ich dort allein?
    Eine neue Dimension des Denkens öffnet sich und stürzt mich gleichzeitig in Konfusion. Mein Talisman in der Hosentasche gibt mir wenig Hilfestellung. Zwar war die Seele schon immer der Acker der Religionen, nur möchte ich mir von den himmlischen Heerscharen nicht dieses zarte Pflänzchen der Erkenntnis unterpflügen lassen. Bisher war die Seele für mich das Überdauernde, Ewige. Etwas, das sich mein Körper ausgesucht hat, um auf diese Welt zu kommen. Etwas, das diesen Körper verlassen wird, wenn ich sterbe. Etwas, das weiter leben wird. Und was ist im Hier und Jetzt mit meiner Seele?
    Während dieser Zeit verbinde ich mich immer wieder mit anderen Pilgern, bin aber auch oft allein auf dem Camino.
    Dies ist die Zeit, in der Peter, ein Pilger aus der Schweiz, Geburtstag hat. Ein sehr lieber Mensch, den ich schon vor einigen Hundert Kilometern kennen gelernt habe. Der mir immer wieder begegnet, obwohl er viel langsamer geht als ich — aber kontinuierlich, ohne einen Tag Pause. Peter möchte seinen Geburtstag gerne mit Marianne und mir verbringen, wird aber unser Tempo nicht mithalten können. Da Mariannes Zeitplan sehr eng ist, beschließen wir, unsere Rucksäcke an diesem Tag per Taxi transportieren zu lassen. 25 Kilometer ohne

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