Der weibliche Weg Gottes
hat es der Kopf so an sich, dass er nach Beschäftigung sucht, bevorzugt im Bereich der Sorgen: Hoffentlich werden sich die merkwürdig roten Stellen an den Waden nicht entzünden! Wo werde ich heute Nacht schlafen? ... Das will ich loslassen, das soll aufhören: dieses ständige Suchen nach Problemen, wenn mal keine da sind, das will ich der Meseta schenken.
Mein Körper nähert sich seiner Grenze, das spüre ich. Ich versinke im Gehen in eine Art Trance. Die Muskeln schmerzen, der Rucksack ist durch die großen Wasservorräte besonders schwer. Die Sonne brennt durch den Stoff meiner Kleidung. Mein Hut schützt mich, aber von Zeit zu Zeit rinnt mir trotzdem Schweiß in die Augen. Ganz automatisch setze ich einen Fuß vor den anderen. Es gibt Momente der absoluten Stille in mir, von denen ich nicht weiß, wie lange sie dauern werden. Und wenn ich denke, dass ich bei mir bin, bin ich schon wieder außerhalb.
Jetzt bin ich dankbar, hier allein zu gehen. Ich brauche niemanden an meiner Seite, der mir Kraft gibt. Ich habe genug davon. In dem Maße, in welchem meine Körperkräfte schwinden, spüre ich meine innere, unzerstörbare Kraft, mein Vertrauen zu mir, dass ich dies schon irgendwie bewältigen werde. Ich bin stark genug, diesen Weg zu gehen, und auch stark genug, meinen Lebensweg allein zu bewältigen. Es macht mir keine Angst mehr, allein zu sein. Es ist keine Traurigkeit mehr dabei. Kein Suchen, Ausschau halten. Ich bin wieder frei.
Ich bin stark genug, meinen Weg allein zu gehen. Irgendwann sage ich den Satz laut vor mich hin, immer wieder und wieder, und meine Schritte geben den Rhythmus dazu an.
Ich bin glücklich, fühle mich erlöst, frei und ungeheuer stark und genieße alles um mich herum, während gleichzeitig meine Schritte immer langsamer werden.
Das kleine Wäldchen, das ich gegen Abend völlig erschöpft erreiche, liegt in einer Senke. Ich habe es schon seit Stunden gesehen und beschlossen, dort zu übernachten. Die Bäume sind schlank und groß. Irgendwann vor vielen Jahren sind sie ordentlich in Reihen angepflanzt worden. Es gibt kein Unterholz, das erkenne ich auf den ersten Blick. Ein idealer Ort zum Übernachten. Ich kann nicht mehr weiter. Schon seit einer ganzen Weile ist mir schwindelig. Weitergehen wäre Leichtsinn.
Und dann sehe ich den Bach! Heute habe ich viele Wasserrinnsale überquert. Alle waren sie brackig und stinkig. Dieses hier ist sauberes, klares Wasser! Nicht nur ein Rinnsal. Ein breiter, tiefer Bach fließt hier. Kühles Wasser! Ein kleines Paradies nimmt mich auf. Ich wanke zu den Bäumen und bereite mein Nachtlager unter einem Baum. Wenn ich liege, kann mich niemand sehen, hoffentlich.
Ich lege alles zurecht für die Nacht, die Isomatte, den Schlafsack, die Taschenlampe griffbereit, auch das, was ich vor dem Schlafen noch essen will. Für einen Augenblick weiß ich nicht, ob ich die wenigen Meter zum Wasser überhaupt noch schaffe, oder ob ich mich gleich hinlegen und schlafen soll. Aber natürlich mache ich das nicht. Ein Rest Energie ist noch vorhanden.
Eintauchen, untertauchen, hinsetzen, hinlegen, schrubben, Haare waschen, genießen, plantschen. Ich sitze wie in der Badewanne zu Hause und kann mein Glück gar nicht fassen. Welch ein Geschenk!
Das kalte Wasser hinterlässt eine Gänsehaut, aber die untergehende Sonne spendet noch Wärme. Ich rubbele mich gut ab und kuschele mich zum Essen in meinen Schlafsack. Dabei schaue ich auf den roten Ball, der sich langsam dem Hügel gegenüber zuneigt.
Wenn die Sonne versinkt, hält die Natur den Atem an. Für einen Moment ist es so, als wäre alles still: Kein Geräusch, kein Rascheln, absolute Ruhe, während sie versinkt. Das andächtige Schweigen vor dem Wunder, das jeden Tag aufs Neue geschieht. Wie schnell sie doch versinkt, so schnell wandert sie den ganzen Tag — und wir merken es meist gar nicht.
Der große Wagenlenker geht schlafen, fällt mir ein. So nannten die Ägypter den Sonnengott Ra, der die Geschicke der Menschen lenkte, während er mit seinem Wagen über den Himmel fuhr. Jeden Morgen spannte er seine Rösser an und zog seine Bahn. Er kannte alle Geheimnisse und Pläne, sah alles, wusste alles und griff in das Leben der Menschen ein, wenn er es für richtig hielt. Sie beteten zu ihm um die Erfüllung ihrer Wünsche, er hatte, wie jede Gottheit, seine eigenen Pläne. Und wer lenkte in der Nacht? Während ich die letzten Strahlen seines Wagens noch bewundere, schlafe ich ein.
In der Nacht wache ich auf.
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