Der weibliche Weg Gottes
mir näher und meinen Seelenverschlingungen auf die Spur.
Was bleibt von dem Ärger über einen anderen, wenn ich das Gefühl näher betrachte? Wenig vom anderen, aber viel von mir. Zuwendung und Nähe sind nicht einforderbar, nicht mit dem Kopf steuerbar. Zuwendung ist weder durch Geschenke, Anpassung noch durch Bedürftigkeit korrumpierbar. Nähe entsteht und Nähe ist. Dieses Gefühl gibt es nur in Freiheit. Alles andere schafft das Gegenteil des Ersehnten: Distanz.
Das ewige Hin und Her mit Nähe und Distanz. Wie zwei Waagschalen, von denen immer eine schwerer ist als die andere, die einfach nicht im Gleichklang sein wollen. Wir wünschen uns verbindende Gemeinschaft, Verschmelzen, seelische Intimität mit unserem Gegenüber und halten doch die Dauernähe nicht aus. Konflikte, die aus der Du hast aber gesagt- und Du hast angefangen mit- Thematik entstehen, sind meist Probleme mit einem Maß an Gemeinsamkeit, das für den einen zu viel und für den anderen zu wenig ist. Das macht auf Dauer unzufrieden. Eigene Wünsche und Bedürfnisse werden zugunsten der gemeinsamen Beziehung nicht ausgelebt. Wenn darüber nicht gesprochen, kein gemeinsamer Weg gesucht wird, kommt es zum Eklat.
Auf meinem Weg treffe ich immer wieder zwei Frauen, die sich auf dem Camino das erste Mal gesehen haben und bis zum Ende gemeinsam gehen. Die Symbiose ist nicht zu übersehen. Eine stellt sich dumm, die andere macht auf klug. Unter der Oberfläche brodelt es. Die Spitzen sind unüberhörbar. Trotzdem bleiben beide zusammen. Sie erinnern mich an Ehepaare, die mit der Zeit immer garstiger zueinander werden und sich gegenseitig abwerten. Aber immer noch besser, als allein zu sein — und so verharren sie im Zusammensein und graben sich gegenseitig ihre Lebensenergie ab.
Dieser Gleichklang, der dann entsteht, wenn Menschen den gleichen Abstand zueinander haben wollen, das sind die Phasen reinen Glücks in Beziehungen, gleichgültig, wie nah die Menschen sich sind, ob Freundschaft oder Liebe, ob zwei oder mehrere. Kein Stress, kein Zerren, keine Flucht, kein Einengen. Genießen, was da ist, und loslassen, wenn es vorbei ist. Dummerweise wollen wir halten, was schön ist, statt darauf zu vertrauen, dass es immer wieder schön sein wird, nur eben anders. Der Fluss des Lebens spült uns die Begegnungen an, die wir zum Wachsen brauchen.
Buddha sagt, die Wurzel allen Leidens ist das Begehren, gleichgültig, was es ist. Wie wahr. Dieses dann mit Liebe oder Zuneigung zu verwechseln, ist das Grundübel menschlicher Beziehungen.
Manchmal ist das Höchstmaß an Zuneigung, zu der wir fähig sind, die Distanz zu schätzen, die gerade da ist, und den anderen loszulassen.
Hingabe und Fürsorge
Ich treffe ihn vor einem Kiosk, wo ich mir ein Eis kaufen will. Er sitzt auf der Bank davor, winkt mich heran und bietet mir eine halbe Orange an, die ich gerne annehme. Wir verständigen uns in einem italienisch-spanisch-deutschen Durcheinander. Er hat Probleme mit seinen Füßen und will mir das gleich zeigen, zieht die Schuhe und Socken aus, hält mir seine blutig roten, jodgetränkten Füße entgegen, von denen die Hautfetzen herunterhängen.
Mir wird schlecht, die Orange zieht meinen Mund zusammen und ich würge. Aus seinen Worten entnehme ich, dass er nun mit mir weitergehen will. Oh nein, nicht mit mir! Mein erster Impuls ist Ärger. Ich fühle mich benutzt. Angelockt mit einer Orange, zum Mitleid aufgefordert, um Kontakt zu haben. Nach dem Motto: Jetzt hast du meine Orange angenommen, jetzt kannst du nicht nein sagen.
Dann spüre ich seine Einsamkeit und sein Bedürfnis nach Zuwendung. Es tut mir leid, dass er schmerzende, offene Füße hat und einsam ist. Nur habe ich das Gefühl, als würde eine Krake ihre Fangarme nach mir ausstrecken. Ich fühle mich nicht stark genug, mich darauf einzulassen. Mit diesen kaputten Fußsohlen sollte er auch besser Pause machen. Während ich versuche, ihm das klar zu machen, kommt eine junge Spanierin. Sie hat davon gehört, dass hier ein Pilger ist, der kranke Füße hat. So kommt sie mit ihrem Auto, sucht ihn, um ihn ein Stück mitzunehmen. Ich atme auf und winke den beiden nach.
Wie kommt diese junge Frau dazu? So viel Mitleid mit einem Unbekannten. Gibt es wirklich Altruismus? Als Psychologin zweifele ich daran. Es gibt immer einen Teil in uns, der für sein Handeln Befriedigung erwartet. Ich helfe einem anderen, fühle mich besser, weil ich ihn nicht allein gelassen habe. Bin bei ihm, weil ich nicht will, dass
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