Der Weihnachtsfluch - Roman
sie eine Schüssel warmes Wasser nach oben und half Susannah, ihr beschmutztes Nachthemd auszuziehen. Sie war zutiefst erschrocken, wie hager ihr Körper war, ganz eingefallen, an ihren Armen und am Bauch hing nur noch die Haut herunter. Gott sei Dank konnten die Kleider das noch vertuschen, und Susannah war noch nicht so krank, als dass sie die Veränderungen an sich nicht bemerkt hätte.
Emily konnte nur mit Mühe ihre Angst vor dem Verfall durch die Krankheit verbergen, den Wandel von einer schönen Frau zu dem Schatten ihres alternden Selbst. Sie wusch sie behutsam, tupfte sie trocken, weil sie befürchtete, ein Rubbeln mit dem Handtuch könnte sie verletzen oder womöglich die empfindliche Haut aufreißen.
Dann half sie ihr in ein sauberes Nachthemd und trug sie mehr oder weniger ins Bett.
»Danke«, sagte Susannah mit einem matten Lächeln. »Jetzt geht es mir besser.« Sie legte sich in die Kissen zurück, so erschöpft, dass sie erst gar nicht versuchte, es zu verbergen.
»Natürlich«, stimmte ihr Emily zu und setzte sich in den Sessel beim Bett. »Aber ich habe nicht vor, dich alleine zu lassen.«
Susannah schloss die Augen und schien in einen leichten Schlaf zu fallen.
Emily blieb die ganze Nacht bei ihr. Susannah bewegte sich mehrmals und um ungefähr vier Uhr am Morgen, als der Wind wieder zugenommen hatte, dachte sie eine Zeit lang, Susannah müsste sich noch einmal übergeben, aber dann ging die Übelkeit wieder vorbei und sie legte sich zurück. Emily ging in die Küche und machte ihr eine Tasse schwachen Tee, brachte ihn nach oben und gab ihn ihr erst, als er deutlich abgekühlt war.
Als es Tag wurde, war Emily ganz steif, und ihre Augen schmerzten vor Müdigkeit, aber es war nichts weiter vorgefallen, und Susannah schien jetzt gleichmäßig atmend zu schlafen.
Emily ging in die Küche hinunter, um sich Tee und Toast zu machen. Mal sehen, ob sie wieder so weit zu Kräften kam, dass sie mit der Wäsche anfangen konnte. Sie war schon halbwegs mit ihrer Arbeit fertig, als Daniel hereinkam. »Sie sehen schlecht aus«, sagte er mitfühlend genug, um den Worten das Beleidigende zu nehmen. »Konnten Sie wegen des Sturms nicht schlafen?«
»Nein. Susannah ging es nicht gut. Ich befürchte, Sie müssen sich Ihr Frühstück selber machen, vielleicht sogar das Mittagessen. Ohne Maggie habe ich zu viel zu tun, um für Sie zu kochen.«
»Ich helfe Ihnen«, sagte er sofort. »Toast reicht mir völlig. Vielleicht mache ich mir noch ein, zwei Spiegeleier. Kann ich Ihnen auch eins machen?«
»Nein, lassen Sie mich die Eier braten. Sie holen den Torf rein und heizen ein. Ich muss die Laken waschen. Bei diesem Wetter wird es nicht leicht sein, sie trocken zu kriegen.«
Er blickte auf. »Es gibt doch eine Stange zum Trocknen«, sagte er ihr. »Wir machen es schön warm in der Küche und hängen die Laken darüber. Wenn sie noch klamm sind, muss das reichen. Mehr Zeit haben wir nicht.«
»Danke«, stimmte sie zu.
»Geht es ihr sehr schlecht?«
»Ja.« Sie hatte weder den Willen noch die Kraft, es ihm zu verheimlichen.
»Maggie hätte nicht gehen dürfen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin schuld daran.«
»Ach ja? Wieso?« Sie glaubte ihm, wollte es aber ganz genau wissen.
Es schien ihm unangenehm zu sein. »Ich habe sie verärgert. Ich habe ihr Fragen gestellt.«
»Welche Fragen?«
»Über die Leute«, antwortete er. »Über das Dorf. Sie erzählte mir von Connor Riordan vor ein paar Jahren. Für sie ist es eine ganz starke Erinnerung.«
»Ach so?« Emily achtete nicht weiter auf den Kessel, schob ihn lediglich von der Kochstelle. »Warum? Kannte sie ihn denn gut?«
Seine dunklen Augen blickten verdutzt drein. »Worum geht es eigentlich, Mrs. Radley? Wollen Sie herausfinden, wer ihn getötet hat? Warum wollen Sie das nach all der Zeit noch wissen?«
»Weil sein Tod die Seele des Dorfes auffrisst«, gab sie ihm zur Antwort. »Jemand hier hat ihn umgebracht, und alle wissen es.«
»Hat Susannah Sie darum gebeten? Sind Sie deshalb hergekommen? Früher, die ganzen Jahre, seit sie hier ist, sind Sie nie da gewesen. Und doch bin ich davon überzeugt, dass sie sie mögen.«
»Ich …«, fing Emily an, wollte sagen, dass sie Susannah immer gemocht hatte, aber das stimmte einfach nicht, und die Lüge blieb ihr im Hals stecken. Und wiederum fragte sie sich, ob Connor Riordan auch so gewesen war: Hatte er zu viel gesehen, zu viel gesagt? Bei dem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen, fühlte sich
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