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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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waren immer noch da.
    » Komm nach Hause, Eddie. Komm einfach nach Hause. «
    »Nein!«, schrie ich. »Ich habe kein Zuhause!«
    Die Stimme wiederholte Worte, die ich schon einmal irgendwo gehört hatte. » Tiere laufen vor Menschen davon, denen sie nicht vertrauen, während wir die meiste Zeit vor uns selbst davonlaufen.«
    Und das aus gutem Grund, dachte ich. Ich konnte mich selbst nicht mehr ausstehen. Ich hatte mich in etwas verwandelt, was ich hasste, und gab die Schuld allem und jedem.
    Ich stand langsam auf und ging zu dem Fahrrad hinüber, um mir den Schaden anzuschauen. Die Kette war abgesprungen und die Vordergabel ebenso verbogen wie die vordere Felge, wodurch das Rad nutzlos geworden war. Und was sollte ich jetzt machen?
    » Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen «, flüsterte die Stimme.
    »Wetten doch?«, rief ich.
    Ich rannte los, zuerst den Weg hinunter und dann in das Feld hinein, halbblind, weil ich meine Augen vor den scharfen, peitschenden Maisstängeln schützen musste. Gut zehn Meter vor mir flatterte ein aufgeschreckter Krähenschwarm laut krächzend in die Höhe.
    Mein Herz pochte so heftig, dass ich glaubte, ich könnte es durch meine Jacke schlagen sehen. Ich sank auf die Knie und blickte in den Himmel hinauf, an dem es ganz allmählich ein wenig dämmerte. »Ich hasse dich«, sagte ich leise.
    » Ich liebe dich «, antwortete die Stimme flüsternd.
    Ich blieb eine lange Zeit erschöpft und mit schmerzenden Gliedern dort auf dem Boden liegen. Ich war vordiesen merkwürdigen Stimmen davongelaufen, aber nun hörte ich meine eigene Stimme in meinem Kopf.
    Warum hatte ich nicht mit Großvater geredet? Warum hatte ich mich immer zurückgezogen, wenn er und Großmutter mir wieder einmal eine helfende Hand reichten? Warum hatte ich versucht, meiner Mutter wehzutun?
    » Ich liebe dich «, wiederholte die Stimme. » Komm nach Hause, Eddie. Alles ist gut. «
    Wie konnte alles gut sein? Wie konnte jemals wieder irgendetwas gut sein? In diesem Augenblick vergoss ich die ersten uneigennützigen Tränen meines ganzen Lebens. Ich hatte schon vorher hin und wieder geweint, aber das hier kam aus meinem tiefsten Inneren. Bilder meiner Familie schossen mir durch den Kopf. Ich liebte sie. Ich hasste mich selbst. Tief im Inneren sehnte ich mich nach ihrer Vergebung.
    Sieh dich doch nur an , dachte ich. Ich war gerade erst dreizehn Jahre alt und schon so kaputt wie der Mais um mich herum. Das hatte ich eigentlich nicht von meinem Leben erwartet. Aber entsprach das Leben denn jemals den eigenen Erwartungen? Ich wünschte mir, ich könnte noch einmal von vorn beginnen. Ich wünschte mir, ich würde eine zweite Chance bekommen, aber dabei wusste ich es doch besser: Es gibt keine zweiten Chancen.
    Wie konnte ich erwarten, dass man mir jemals die Dinge vergab, die ich getan hatte? Wie sollte ich Großvater in dem Bewusstsein in die Augen schauen, dass er bloß denJungen sah, in den ich mich im letzten Jahr verwandelt hatte? Ich war innerlich so leer und tot wie das Maisfeld, in dem ich mich befand. Vielleicht gehörte ich ja hierher. Vielleicht war dies mein neues Zuhause.
    Nach ein paar Minuten trocknete ich mir die Augen, griff nach meinem Rucksack und rappelte mich auf. Ich wanderte in die Richtung zurück, von der ich annahm, dass ich von dort gekommen war, und folgte einer Spur von grauen, geknickten Stängeln. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand oder welch eine Strecke ich zurückgelegt hatte, als ich wie ein Verrückter in das Feld gestürmt war. Ich kletterte einen kleinen Hügel hinauf, der hoch genug war, um von dort über die Spitzen der Maisstängel hinwegzusehen und die Gegend zu überschauen. Ich blickte in die Richtung, von der ich glaubte, dass ich aus ihr gekommen war, aber der Feldweg war verschwunden, und von meinem Fahrrad war weit und breit nichts zu entdecken.
    Es sah alles so fremd aus. Das Land war flach, karg und dürr, nichts weiter als endlose Muster aus braunen, schwarzen und grauen Maisstängeln, so weit das Auge reichte. Als ich hinter mich schaute, entdeckte ich einen Weg. Aber es war nicht der, auf dem ich zuvor gefahren war. Er war völlig überwuchert, bot ein trostloses Bild, und an seinem Ende lauerte etwas, das mich mit Angst erfüllte: ein dunkler, wogender Sturm.
    Wo kam der nur plötzlich her? Warum hatte ich ihn nicht schon früher bemerkt?
    Eine neue, dreiste Stimme erhob sich. Und es kam mir so vor, als würde das Maisfeld selbst zu mir sprechen. » Du hattest

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