Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
wenn Ihre Soldaten nicht verstanden haben, dass sie Ihnen, egal was passiert, vertrauen können.«
Er sah Narraway mit strengem, durchdringendem Blick von der Seite an. Kurz darauf blickte er wieder nach vorne. »Vermutlich wissen Sie das alles schon. Ich muss Ihnen also nichts erzählen. Machen Sie Ihre Arbeit gut. Dann wird das ganze Regiment Sie schätzen. Ich weiß schon, es ist eine scheußliche Verantwortung.«
»Ja, Sir«, stimmte Narraway ihm zu. Er wog seine Worte sorgfältig ab. »Mein Ziel ist es, Tallis so zu verteidigen, dass hinterher niemand – auch nicht die Geschichte – behaupten kann, er sei nicht fair behandelt worden. Das sollte nicht zu viel Zeit brauchen, und ich hoffe von ganzem Herzen, dass es nicht notwendig sein wird, jemanden in dieser Angelegenheit unnötig als Zeugen zu rufen, und ihm damit womöglich zu schaden. Zu eiliges Vorgehen würde aber zu Ehrlosigkeit führen und vielleicht noch mehr Unheil anrichten, was dann dem Regiment und sogar dem zukünftigen Ruf der Indischen Armee schaden könnte.«
Busby blieb abrupt stehen und blickte Narraway an. »Ich glaube, ich habe Sie unterschätzt, Leutnant. Wenn ich nicht irre, können Sie verdammt lästig sein. Aber wenn Sie glauben, Sie könnten mir eine Lektion erteilen, wie man die Loyalität des Regiments erobert, dann täuschen Sie sich gewaltig. Das werde ich Ihnen schon noch zeigen.«
»Ja, Sir.« Narraways Augen blitzten kurz zufrieden auf. »Dessen bin ich mir ganz sicher, Sir, und zwar mit äußerster Fairness. Unter den gegebenen Umständen werden Sie Tallis’ Verurteilung bestimmt sicherstellen können.«
»Verdammt noch mal, ich will nicht nur einfach seine Verurteilung herbeiführen«, erwiderte Busby barsch. »Ich will, dass die Sache zu einem Ende kommt, ohne dass die Männer und Frauen, die diese Abscheulichkeiten erlitten haben, die Sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen können, noch weiter leiden müssen.« Er drehte sich abrupt um und ging schnell in Richtung der Kaserne zurück zu den Schanzen, von denen aus die Armee belagert worden war. »Kommen Sie!«, befahl er.
Narraway drehte sich um. Er konnte Busby nur mit Mü he folgen. Er wollte nicht zu den Schanzen zurückkehren. Er wusste, was dort passiert war, und konnte sich all die schrecklichen Dinge vorstellen. Es handelte sich um ein karges Stück Ödland, jeweils ungefähr 100 Meter in jede Richtung, an zwei Seiten mit niedrigen Gebäuden bebaut. Der Rest waren aufgeschüttete Erdwälle, nicht einmal mannshoch. Während der achtzehn Tage und Nächte der ständigen Beschießung durch Nana Sahib und seine Leute lebten 900 Menschen hier. Viele starben, stark geschwächt, an Herzversagen, Cholera oder an ihren Wunden.
Narraway schauderte es, als er sich die eng zusammengekauerten Menschen vorstellte, ihre Schrecken, ihre Erschöpfung, wie sie versuchten, sich gegenseitig zu beschützen, und auf Rettung warteten, die nie kam. Er konnte sich die geisterhaften Gestalten vorstellen. Am liebsten wäre er umgekehrt, aber er konnte Busby nicht ignorieren. Schließlich war er sein Vorgesetzter. Vielleicht wollte er auch nicht, dass Busby bemerkte, wie tief erschüttert er war.
Er schwieg. Hatte Busby etwas zu sagen, sollte er damit anfangen.
In der Ferne bellte ein Hund, eine Frau rief nach ihrem Kind. Ein Lachen erklang, so als ob alles ganz normal wäre – Lebenszeichen, wie frische grüne Triebe nach einem Waldbrand.
»Enttäuschen Sie die Menschen nicht, Narraway. Das sind Sie ihnen schuldig«, sagte Busby schließlich.
Narraway wollte ihm tapfer etwas erwidern über Gerechtigkeit, und dass sie nichts mit Gefühlen und persönlichem Treuegefühl zu tun hatte, aber alles, was ihm einfiel, war zu banal und würde Busby nur verärgern. Schlimmer noch, er würde seinen eigenen Worten nicht trauen.
Busby starrte ihn an und wartete auf eine Antwort.
»So wie ich das sehe, Sir«, begann Narraway umständlich, »ist es das Wichtigste, dass nach dem Aufstand, sobald wieder Ordnung eingekehrt ist, Indien weiß, dass die britische Justiz gerecht ist.«
Busby schüttelte betroffen den Kopf. Er setzte an, etwas zu sagen, änderte dann aber seine Meinung.
Narraway wartete. Wie gerne wäre er jetzt weggegangen, aber das würde er erst können, nachdem Busby sich entfernt hatte.
»Ich beneide Sie nicht«, sagte Busby schließlich. »Vermutlich müssen Sie eine Schau daraus machen. Übertreiben Sie aber nicht!«
»Ich habe es mir nicht ausgesucht, Sir.«
»Niemand
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