Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
als ob er einmal verwundet worden sei. Auf der linken Wange hatte er eine dünne, kaum sichtbare Narbe.
    »Ja, Sir«, stimmte ihm Narraway zu, als sie am Theater vorbeischritten, in dem in besseren Zeiten junge Männer Musikstücke und Komödien zur allgemeinen Unterhaltung aufgeführt hatten. Jetzt war alles still. »Ich habe Kinder Girlanden aus buntem Papier basteln sehen«, fügte er noch hinzu.
    Busby lächelte. »Wir müssen die Kinder schützen, darauf haben sie einen Anspruch. Wir haben sie hierher gebracht, Tausende Meilen entfernt von allem, was sie kennen und lieben. Wir erwarten ihre absolute Loyalität und die bekommen wir auch, aber manchmal denke ich, dass wir sie als zu selbstverständlich erachten. Ihnen und vor allem den Witwen der Männer, die auf der Patrouille getötet wurden, schulden wir, dass der Prozess zu einem schnellen Ende geführt wird.« Er blickte Narraway an und sah dann wieder auf die holprige Straße. »Ich hoffe, das ist Ihnen bewusst.« Er hob seine Stimme, als wolle er eine Frage andeuten.
    Er hatte einen höheren Dienstgrad, aber, was den Prozess von John Tallis anging, sollte das keine Rolle spielen.
    »So schnell, wie es die Gerechtigkeit zulässt, Sir«, stimmte ihm Narraway zu.
    »Welche Zeugen werden Sie aufrufen?«, fragte Busby ziemlich ruppig.
    »Das weiß ich noch nicht«, gestand Narraway. »Ich bin erst gestern Abend mit dem Fall betraut worden, und ich habe bis jetzt noch nie jemanden vor Gericht vertreten.«
    »Um alles in der Welt, Mann, Sie sind doch Offizier!«, sagte Busby abschätzig. »Ich bin auch kein Jurist. Wir wollen die Wahrheit herausfinden, nicht irgendwelche juristischen Spitzfindigkeiten erörtern. Ein treuer Sikhsoldat wurde erschlagen, und ein Dutzend unserer eigenen Männer wurden während der Patrouille in einen Hinterhalt gelockt.« Er deutete mit der Hand vage nach Süden. »Neun von ihnen wurden getötet. Jetzt gibt es noch mehr Witwen und mindestens ein halbes Dutzend vaterlose Kinder. Dafür trägt Tallis die Verantwortung. Wir müssen das rechtlich absichern, uns allen zuliebe. Trampeln Sie nicht auf den Gefühlen herum, und reißen Sie keine alten Wunden auf, indem Sie unnötige Fragen stellen.«
    Narraway antwortete nicht. Es hatte keinen Sinn, Busby zu sagen, dass der Oberst mehr erwartete, als einfach nur den Fall vom Tisch zu haben. Er wollte wissen, was so schrecklich schiefgegangen war.
    Ein paar Schritte gingen sie schweigend nebeneinander her. Ein Mann mit einem Karren voller Gemüse wich aus und rumpelte über ein Schlagloch. Zwei Frauen, dem Schnitt ihrer Kleidung nach Offiziersgattinnen, gingen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und nickten ihnen unmerklich zu.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie der Richtige für den Fall sind«, fuhr Busby fort. Er starrte vor sich hin. »Vielleicht hätten wir besser jemanden bestimmen sollen, der die Belagerung selber mitgemacht hat, die Hintergründe kennt und das Leiden erlebt hat.«
    »Ich glaube, Oberst Latimer hat mich gerade deshalb ausgesucht, weil ich nicht dabei war«, erwiderte Narraway. »Er will nicht nur ein faires Verfahren, sondern es ist ihm mindestens genauso wichtig, dass es auch als fair wahrgenommen wird. Wäre ich bei der Belagerung hier gewesen, könnte es wirken, als ob ich bestimmten Leuten gegenüber mehr Loyalität zeige als anderen. Zum Beispiel Männern, denen ich womöglich mein Leben verdanke. Auch wenn ich sie nicht bevorzugen würde, hätten die Menschen vielleicht doch Zweifel.«
    Busby ging schweigend weiter. Sie kamen an einer kleinen Kirche auf der anderen Straßenseite vorbei, die für alle Konfessionen offen war. Die Poststelle lag vor ihnen. Alle Gebäude waren durch Geschosse stark beschädigt. Ein Laden hatte gebrannt. Die schwarzen Flecken sahen aus wie der Schatten einer Hand.
    »Ich weiß nicht, wen Sie alles als Zeugen aufrufen wer den«, sagte Busby unvermittelt. »Niemand außer Tallis kann es gewesen sein. Versuchen Sie nicht, die Ehre anständiger Menschen in Zweifel zu ziehen. Einmal abgesehen davon, dass Sie Tallis nicht freibekommen können – das sollten Sie um Gottes willen auch gar nicht versuchen –, täten Sie sich selbst damit auch keinen Gefallen. Wenn Sie in der Armee Karriere machen wollen, müssen Sie verstehen lernen, was Loyalität bedeutet.« Seine Stimme war plötzlich voller Leidenschaft. »Darum geht es nämlich – Mut im Kampf, Standhaftigkeit und Loyalität. Verdammt, Sie werden weder Mensch noch Tier nützen,

Weitere Kostenlose Bücher