Der Weihnachtswunsch
können Sie nachts nur schlafen?«
Der junge Mann rannte mit aufgerissenen Augen zu seinem Wagen zurück und fuhr eilig von dannen.
Als Sara in ihrem Bett lag, bat sie Beth, ihr den Brief vorzulesen.
Beth weigerte sich. »Nein, Liebes, das ist nicht wichtig. Das kann warten.«
»Ich muss es wissen.«
Widerstrebend öffnete Beth den Umschlag und las schweigend den Brief.
»Was steht drin?«, fragte Sara.
»Liebes …«
»Jim lässt sich von mir scheiden.«
Beth schnaubte. »Dieses Ekel …«
Sara schloss die Augen, und zum ersten Mal an jenem Tag weinte sie. »Ich dachte, er würde zurückkommen«, stieß sie hervor. »Ich war mir sicher, dass er zurückkommen würde.«
»Ich habe dir doch gesagt, Schwesterherz, dass er seine Seele verkauft hat.« Beth schlang den Arm um den Kopf ihrer Schwester. »Es tut mir so leid, Süße. Es tut mir so leid.«
Für den Rest des Abends lag Sara mit krankem Körper und kranker Seele im Bett. Sie sprach es zwar nie aus, aber zum ersten Mal seit ihrer Diagnose war sie froh, dass sie bald sterben würde.
Acht Monate später unternahm Sara an Thanksgiving einen letzten Versuch, alles normal erscheinen zu lassen. Mit aller Anstrengung und unter großen Schmerzen bereitete sie ein einfaches Essen zu. Sie hatte Jimmy und Juliet dazu eingeladen. Aber nachdem Sara das Essen zubereitet hatte, war sie so erschöpft und ihr war so übel, dass sie außerstande war, etwas davon zu kosten. Sie befürchtete, dass Jimmy schließlich doch ihren wahren Zustand erahnen könnte, und tat ihr Bestes, um seine Ängste zu beschwichtigen. »Das kommt lediglich von der Behandlung«, behauptete sie. »Dr. Halestrom hat mir vorausgesagt, dass es so sein würde.«
Jimmy wusste nicht, dass seine Mutter bereits die Vorbereitungen für ihre Beerdigung getroffen hatte. Für Sara war ihr Tod keine Frage des Ob, sondern nur des Wann. Würde sie es noch bis zur Hochzeit ihres Sohnes schaffen? Es war ihr Wille, dies dem Krebs abzutrotzen, doch jeden Tag verlor sie ein kleines Stück Boden. Wenn sie stark genug wäre, könnte sie die Schlacht gewinnen. Aber sie wusste bereits, wer den Krieg gewinnen würde.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Estelle Wyss
Estelle und Karl Wyss. Estelle war eine Freundin von Sara aus der Kirchengemeinde. Sie schlossen ein Geschäft mit den Wysses ab und benutzten ihr Land als Sicherheit. Als sich die Dinge schlecht entwickelten, nahmen die beiden den Verlust hin. Sie wohnen noch immer im hinteren Teil von Il Pascolo. Sicherlich wissen Sie noch, wo das ist.
Es lag inzwischen viele Jahre zurück. Kier wusste nicht, wie viele es genau waren, aber seither war mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Kier war durch Il Pascolo gefahren, die italienische Bezeichnung für »das Weideland«. Die Idee für den Namen des Bauprojekts stammte von Estelle Wyss.
Estelle Zito Wyss war Italienerin, eine Immigrantin in zweiter Generation. Erst mit Ende zwanzig, während ihrer Flitterwochen, hatte sie das erste Mal den Fuß auf italienischen Boden gesetzt. Italien war genau so, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie hätte das Land am liebsten nie wieder verlassen und bezeichnete sich anschließend stets als »displaced«, als »vertriebene« Italienerin. Fortan verbrachten sie und ihr Ehemann Karl die Sommerferien meist in Genua oder in der Nähe des Comer Sees; manchmal auch im Süden am kristallklaren blauen Meer der Amalfiküste.
Der Entwurf der prätentiösen Anlage von Il Pascolo entsprach dem italienischen Landhausstil. Am Eingang stand ein gigantischer runder Stein aus einer echten Ölpresse – allerdings aus Kalifornien, nicht Italien –, und auf die Stuckmauer des Eingangs war ein italienisches Fresko gemalt worden, das an beiden Seiten von weinberankten Gittern flankiert war.
Unter Kiers Leitung wurden die Gebäude als Villen vermarktet – überteuerte, mit Stuck überladene Wohnhäuser, die auf äußerst knapp bemessenen Grundstücken standen.
Die Straßen hatten alle italienische Namen, die sich für einen Amerikaner nur schwer aussprechen und noch schwerer buchstabieren ließen: Via Masaccio, Santa Maria del Fiore, Giuseppe Garibaldi, Via Di Sera, Bagno a Ripoli – ein ewiger Fluch für jeden Hausbesitzer, der in die Trabantenstadt zog.
Drei Blocks vom Eingang entfernt, am äußersten Ende der Anlage, stand ein Haus, das nicht zu den anderen passte. Es war eine kleine, aus roten Ziegeln erbaute Ranch, die eher nach Oklahoma als nach Toskana aussah. Das einzig Italienische an
Weitere Kostenlose Bücher