Der Weihnachtswunsch
Seit Monaten fühlte sie sich erschöpft, und sie hatte abgenommen, aber sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Ihr Mann hatte sie gerade verlassen, und Stress wirkt sich nun einmal verheerend auf den Körper aus.
Erst nachdem sie drei Wochen lang immer wieder unter Magenschmerzen gelitten hatte, war sie zu ihrem Hausarzt gegangen, um herauszufinden, was da nicht stimmte. Der führte eine Reihe von Untersuchungen durch. Drei Tage später rief er sie an, um ihr mitzuteilen, dass er mit einem Kollegen, einem Onkologen, die Durchführung weiterer Untersuchungen vereinbart habe.
Es dauerte anschließend noch eine weitere Woche, bis sie die endgültige Diagnose hatte: Bauchspeicheldrüsenkrebs im dritten Stadium. Die Prognose war nicht gut.
Dr. Halestrom, der Onkologe, erklärte ihr, dass sich der Krebs über die Bauchspeicheldrüse hinaus auf zentrale Blutgefäße und Lymphknoten ausgeweitet habe, sodass eine Operation nicht in Frage komme.
Allein mit dem Arzt, den sie zuvor nur einmal getroffen hatte, brach Sara zusammen. Der Arzt ließ sie sich ausweinen. Dann sagte er: »Es gibt immer Hoffnung.«
Sara fuhr sich über die Augen. »Haben Sie schon mal einen Krebskranken in solch einem fortgeschrittenen Stadium erlebt, der wieder gesund geworden ist?«
Das Zögern des Arztes verriet ihr die Antwort, noch bevor er sie äußerte. »Nein. Es tut mir leid.«
Nach ein paar Minuten verebbte ihr Schluchzen, und sie hörte auf zu weinen. So hatte sie es immer gemacht – als ihre Mutter gestorben war, als ihr Mann sie verlassen hatte: Sie hatte zu weinen aufgehört und war wieder zum Alltäglichen übergegangen. »Wie lange bleibt mir noch?«
»Das ist schwer zu sagen. Ich habe Menschen erlebt, die …«
»Ihrer Einschätzung nach.«
»Wenn wir den Krebs aggressiv mit einer Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie behandeln, sechs Monate bis ein Jahr.«
»Und wenn ich das nicht mache?«
»Vielleicht drei.«
»Das ist nicht lange«, sagte sie, als würde sie von der Garantie auf eine Waschmaschine reden und nicht von ihrem Leben. »Aber es besteht die Chance, dass ich noch bis zur Hochzeit meines Sohnes durchhalte.«
Der Gedanke daran vermittelte ihr irgendwie ein Gefühl von Hoffnung. Ihr Sohn würde ein neues Leben anfangen und eine neue Familie gründen und damit den Kreis von Neuem beginnen. Ob sie nun Krebs hatte oder nicht, ihre Bedeutung für sein Leben würde schwinden. Es würde wie ein neuer Akt in einem Bühnenstück sein. Das Timing war vielleicht nicht perfekt, aber zumindest passend.
»Wann findet die Hochzeit Ihres Sohnes statt?«
»Am Neujahrstag.«
»Das ist sicher möglich.«
»Dann lassen Sie es uns machen. Was habe ich jetzt zu tun?«
»Wir setzen einen Termin für Ihre Chemotherapie und Ihre Bestrahlung fest.«
»Wie bald können wir anfangen?«
»Ich kann die erste Bestrahlung für die nächste Woche ansetzen. Es hilft, wenn Sie jemanden haben, der Ihnen dabei beisteht.« Er blickte auf den Ring an ihrer Hand. »Sind Sie verheiratet?«
Sie bemühte sich, mit fester Stimme zu antworten. »Mein Mann hat mich vor ein paar Monaten verlassen.«
»Das tut mir leid. Haben Sie irgendwelche anderen Familienmitglieder? Oder Freunde?«
»Meinen Sohn. Aber der ist fort auf dem College.« Sie holte tief Luft. »Ich habe noch eine Schwester.«
»Sie sollten sie anrufen.«
Saras Behandlung begann in der folgenden Woche. Ihre Schwester Beth fuhr sie zu ihrer ersten Bestrahlung. Sie kam um sechs Uhr morgens an und fuhr noch am selben Nachmittag wieder nach Hause, schwach und mit einem starken Übelkeitsgefühl. Als Beth ihr aus dem Auto half, fuhr ein silberner Toyota Corolla in die Auffahrt und hielt hinter ihnen. Ein junger Mann mit kurzem roten Haar, Lederslippern, Samtcordhose und Bürohemd stieg au.
»Mrs Kier?«, fragte er und ließ den Blick zwischen den beiden Frauen hin und her wandern.
Beth wusste nicht, was der junge Mann wollte, aber intuitiv spürte sie, dass es nichts Gutes sein konnte. »Sie halten sich von ihr fern. Mrs Kier ist sehr krank.«
Er kam zu ihnen und überreichte Sara einen Umschlag. »Tut mir leid. Sie haben die Zustellung erhalten.«
Wenn Beth nicht ihre Schwester gestützt hätte, wäre sie vermutlich auf den Mann losgegangen. »Sie haben vielleicht Nerven, Sie miese kleine Ratte! Ich hoffe …«
»Beth!«, bat Sara.
»Sie sind eine widerliche Kreatur!«, schrie Beth weiter. »Und außerdem hässlich, Sie Brillenschlange mit dem Karottenhaar. Wie
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