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Der Weihnachtswunsch

Der Weihnachtswunsch

Titel: Der Weihnachtswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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dem Haus war die verblichene Trikolore, die von der Garage herabhing, sowie ein Schild an der Einfahrt mit der Aufschrift: »Parken nur für Italiener«.
    Kurioserweise war das einzige Haus, das im Vergleich zu den anderen Gebäuden der Anlage nicht italienisch wirkte, das einzige, welches tatsächlich Italienern gehörte. Es war das ursprüngliche Haus des Ehepaars Wyss, dem einst alle fünfundzwanzig Hektar Grund von Il Pascolo gehört hatten.
    Als Kier das erste Mal den Besitz des Ehepaars Wyss besichtigte, handelte es sich um einen funktionierenden Milchbetrieb mit über hundert schwarz-weißen Holsteinern, die zufrieden auf den Weiden grasten.
    Estelle Wyss hatte Sara erzählt, dass Karl und sie allmählich zu alt würden, um den Betrieb zu führen, und dass sie, da sie zudem nicht mehr mit den größeren, stärker industrialisierten Molkereiunternehmen konkurrieren könnten, nach Möglichkeiten suchten, das Land zu verkaufen oder zu bebauen. Im Gegensatz zu ihrem Mann Karl, einem Einwanderer aus der Schweiz, hatte Estelle die Arbeit auf der Ranch nie gemocht – zu viele Fliegen und Kuhfladen, hatte sie Sara erklärt –, und sie freute sich schon darauf, sich endlich ihren Traum zu erfüllen und sich in Norditalien auf dem Land zur Ruhe zu setzen.
    Es war Kier, der dafür sorgte, dass ihr Traum nie Wirklichkeit wurde.
    Kier erkannte, dass es sich bei dem unbebauten Land mitten in einem entwickelten Vorort um eine Rarität und eine Goldmine handelte. Er überzeugte das vertrauensvolle Ehepaar, dass es schneller und mehr Geld machen könne, wenn es seinen Grundbesitz nicht sofort verkaufen würde, sondern ihn stattdessen als Sicherheit für die Finanzierung des Bauprojekts einsetzen würde.
    Von seiner Gier angestachelt, trieb Kier die Bauten eilig voran, für welche die Familie Wyss mit ihrem Vermögen haftete. Er baute spekulativ mehr als zwei Dutzend Häuser und wartete auf Käufer. Doch das Projekt hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt stattfinden können. Als sich die Fertigstellung der Siedlung näherte, brach der lokale Immobilienmarkt plötzlich ein, und die überteuerten Häuser verkauften sich nicht. Da die Baukredite fällig wurden, verlor das Ehepaar Wyss alles außer dem eigenen Haus und rund einen halben Hektar Land, das an die Rückseite der Anlage grenzte und nicht in die Finanzierung einbezogen worden war.
    Verloren ging auch die Freundschaft zwischen Sara und Estelle.
    Kier saß in seinem Auto und wiederholte die Rede, die er vorbereitet hatte. Dabei warf er einen Blick in den Rückspiegel seines Wagens und beobachtete sich selbst.
    Es war über ein Jahrzehnt her, dass er das Ehepaar Wyss gesehen hatte, und es war unwahrscheinlich, dass es ihn erkennen würde, selbst ohne die Blutergüsse um seine Augen und den Verband. Er atmete tief durch, stieg aus und humpelte zum Haus. Blaues Streusalz war über den gesamten, von Schnee befreiten Weg verteilt worden und sah aus wie ins Eis gestreute Saatkörner. Über der Tür hing ein bemaltes Gipsschild, auf dem die Worte standen: La vita è bella.
    Als Kier klopfte, hörte er eine weibliche Stimme rufen: »Einen Moment!«
    Kurz darauf öffnete eine ältere Frau in einem bunten Strickpullover und Jeans die Tür.
    Kier erkannte sie sofort.
    Das Haar von Estelle Wyss war inzwischen ergraut, und sie hatte weitere Falten bekommen, aber ihre leuchtenden Augen und ihr strahlendes Lächeln waren unverändert geblieben.
    Sie musterte den bandagierten Mann misstrauisch, aber es gelang ihr trotzdem, warm zu lächeln. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Mrs Wyss, Sie werden mich mit dem Verband vermutlich nicht erkennen.«
    Sie blinzelte. »Es tut mir leid, ich kann heute nur ein wenig verschwommen sehen. Mein Diabetes bewirkt das manchmal. Sind Sie das neue Gemeindemitglied?«
    »Ich bin James Kier.«
    »James … Kier«, wiederholte sie langsam. Ihr Lächeln verschwand. »Mr Kier. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich frage mich, ob wir miteinander sprechen könnten.«
    »Ich hatte mich gerade zu meinem Nachmittagsschlaf hingelegt.«
    »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Es würde Sie nicht viel Zeit kosten, nur ein paar Minuten. Bitte.«
    Sie zögerte, dann atmete sie aus und meinte: »Gut, kommen Sie rein.«
    »Danke.«
    Er betrat das Haus. Es roch nach frischer Bettwäsche und gebackenem Brot. Selbst nach so vielen Jahren konnte er sich noch an seine hiesigen Besuche erinnern und daran, wie herzlich er stets aufgenommen wurde.
    Ebenso wie das Äußere

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