Der Weihnachtswunsch
wird?«
»Am Morgen der Auferstehung.«
»Wie bitte?«
»Gary ist tot.« Sie sprach die Worte mit einer gewissen Genugtuung aus.
Kier erbleichte. »Das tut mir leid.«
Sie schüttelte den Kopf und presste die schmalen Lippen fest zusammen. »Also wussten Sie es nicht. All die Jahre habe ich mich gefragt, ob Sie nachts noch schlafen können angesichts dessen, was passiert ist, und Sie haben es nicht mal gewusst!«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Gary hat eine schlimme Zeit durchgemacht, nachdem Sie ihn auf betrügerische Weise aus seinem Restaurant gedrängt hatten. Er begann zu trinken, verlor ein halbes Dutzend Stellen und ist dann einfach ausgerastet. Seine Frau hat ihn verlassen und die Kinder mitgenommen. Ich kann nicht sagen, dass ich ihr das verübele, aber sie war Garys letzter Halt. Eines Nachmittags hat er einfach Schluss gemacht.
Ich wundere mich wirklich, dass Sie das nicht wussten. Ihr Name tauchte in seinem Abschiedsbrief immer wieder auf. Ja, Sie sollten ihn lesen.«
Bevor er widersprechen konnte, ging sie fort und kam mit einem zerknitterten Blatt Papier zurück. »Seine letzten Worte. Die meisten davon sind an Sie adressiert.« Sie drückte Kier das Schreiben in die Hände.
Kier versuchte, es ihr zurückzugeben. »Ich will das wirklich nicht lesen.«
»Ich bin sicher, dass Sie das nicht wollen, Sie Feigling.«
Schließlich ließ Kier das Blatt fallen.
Rossis Schwester bückte sich kopfschüttelnd und hob es auf. »Das habe ich mir gedacht. Aber so leicht kommen Sie mir nicht davon. Wenn Sie es nicht lesen wollen, erzähle ich Ihnen, was er geschrieben hat.
Gary hat geschrieben, dass er über das Jenseits nachgedacht hat und dass ihn das sehr verwirrt hat. Denn wenn es einen Gott gäbe, dann würde er Menschen wie Ihnen nicht gestatten, erfolgreich zu sein. Aber andererseits, so schreibt er, sind Sie der deutlichste Beweis dafür, dass es einen Teufel gibt.« Sie zitierte aus dem Abschiedsbrief: »Wenn jemand schuldig zu sprechen ist, dann teile ich die Schuld mit dem Architekten meiner Vernichtung, James Kier. Möge seine Seele auf immer in der Hölle brennen!«
Kier senkte den Kopf.
»Wissen Sie, Mr Kier, ich habe Sie lange, lange gehasst. Aber Hass bringt einen nirgendwohin außer nach unten, also habe ich es gelassen. Ich musste sogar einsehen, dass Sie nicht für Garys Tod verantwortlich sind. Nicht dass Sie mich missverstehen – Sie sind ein grässlicher, der Hölle geweihter Mann. Aber unabhängig davon hatte Gary die Wahl. Seine Wahl war es aufzugeben.
Ich habe mich gefragt, was ich tun würde, sollte ich Sie je wiedersehen. Ich habe gedacht, dass ich Ihnen vielleicht ins Gesicht spucken oder Sie ohrfeigen oder sonst was tun könnte. Ich hätte nie gedacht, dass Sie vor meiner eigenen Tür auftauchen würden. Aber wo ich Sie jetzt hier so sehe, habe ich nur noch Mitleid mit Ihnen. Sie sind ein erbärmlicher, durch und durch zerfressener Mann. Einer, der dem Teufel geweiht ist.«
Kier machte keine Anstrengungen, sich zu verteidigen. »Sie haben Recht.«
Seine Demut überraschte sie. »Also haben Sie ein Gewissen. Ich kann nur mutmaßen, was Sie jetzt hierher getrieben hat. Sind Sie sterbenskrank?«
»Ich wollte nur mit ihm sprechen.«
»Warum? Haben Sie ein neues Geschäft in der Hinterhand?«, spottete sie.
»Ich wollte mich entschuldigen. Ich wollte sehen, ob ich die Dinge wieder in Ordnung bringen kann.«
»Dafür kommen Sie ein wenig zu spät.«
»Es tut mir leid.«
»Ja, darauf wette ich.« Sie hob den Abschiedsbrief erneut und bedrängte ihn damit. »Sie haben Angst hiervor, stimmt’s?« Dann trat sie zurück und schlug die Tür zu.
Kier blieb noch für einen Moment dort stehen, bevor er sich umdrehte und zu seinem Wagen zurückging.
Achtunddreißigstes Kapitel
Linda liebte den Schnee, auch wenn er sie oft melancholisch machte. Als sie an diesem Abend vom Büro abfuhr, herrschte starker Schneefall, der die Welt um sie herum unterschiedslos in Kälte versinken ließ. Nein, ihre Traurigkeit wurde nicht nur durch das Wetter ausgelöst. Sie dachte an ihren Chef. Zum ersten Mal wurde ihr klar, wie sehr sich ihre Beziehung in den vergangenen Wochen verändert hatte. Sie mochte Kier wirklich, und sie fragte sich besorgt, wie sein letzter Besuch verlaufen sein mochte. Sie fragte sich, ob es richtig von ihr gewesen war, ihm Rossis Selbstmord zu verschweigen.
Sie war noch lange im Büro geblieben, um Vorbereitungen für die erste Weihnachtsfeier des
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