Der Wein des Frevels
wußte er, daß er eine neue Gattung entdeckt hatte. Und diese Spezies mußte den Namen Cortexclavus areteus erhalten, der aretianische Korkenzieher.
Der Rüssel des Korkenzieherkäfers war ein spiralenförmiges Drehwerkzeug, das er benutzte, um Baumstämme und Felsblöcke zu durchbohren. Wenn man den Korkenzieherkäfer in die Hand nahm, konnte er einem die Handfläche durchbohren wie ein Kruzifixnagel. Wenn man ihn in eine Holzkiste steckte, würde er den Deckel zersägen. So groß wie eine Runkelrübe und grün wie die Sonne, saß die Kreatur selbstgefällig im Schatten des umgedrehten Steins, in der sicheren Überzeugung, daß ihr dicker Panzer, der unappetitliche Mitteldarm und die tödliche Nase alle natürlichen Feinde für immer abschrecken würden.
Eine plötzliche Inspiration veranlaßte Francis, in seinem Rucksack zu wühlen. Er fand den Kasten, mit dessen Hilfe er seine Diabetes in Schach hielt, und stellte vorsichtig die Insulinflasche sowie zwei fünf-cc-Spritzen mit Crysaniumnadeln auf den Boden. Nachdem er den Cortexclavus areteus in den leeren Kasten manövriert hatte, zählte er bis drei und schloß den Deckel. Wütend schwirrte der Käfer umher, mit heftig rotierendem Rüssel, dann brach er resignierend zusammen, denn die Box bestand wie die Injektionsnadeln, die sie enthalten hatte, aus purem Crysanium.
Während Francis zur Darwin zurückwanderte, begann er den ersten Absatz seines Essays über den Korkenzieherkäfer zu entwerfen. Ob das Journal für Evolution den Artikel publizieren würde? Publizieren? Zum Teufel, sie werden mich als Herausgeber engagieren! Und der nächste Poelsig-Preis für Entomologie ist bereits vergeben, falls nicht irgendein Trottel in den Sarl-Labors herausfand, womit man Gorgathons zum Weinen bringen konnte. Und was das Galileo-Institut angeht, so werde ich mich mit nichts geringerem als dem Atwill-Lehrstuhl zufriedengeben.
Sicher, ein solcher Optimismus war uncharakteristisch für Francis, aber er konnte keine einzige Katastrophe vorhersehen, die ihn am Genuß all dieser Vorzüge hindern sollte.
An dem Tag, als sie Arete verließen und Kurs auf die Heimat nahmen, beendete er seinen Cortexclavus- Artikel, in den er zahlreiche Hinweise auf das geistige Wesen der Bohnenläuse hineingeschmuggelt hatte. Zwei Minuten vor Mitternacht, nach der Nerdenäquatorialzeit, wurde Francis siebenunddreißig. Er hatte immer noch alle seine Haare.
Francis spähte aus der Luke und schluckte ein gesundes Quantum Troposphäre. Nachdem er drei Monate von Konservenluft gelebt hatte, schmeckte diese reine Natur wie Honig. Lächelnd schaute er nach oben und erkannte entzückt, daß Carlottas Himmel nicht mehr gelb wie eine tote Leber war, sondern in einem warmen, melodiösen Gold schimmerte. Burne war zielsicher jenseits des Eises gelandet, so nah am Äquator, daß man darauf spucken konnte – wenn es auch nicht ratsam war zu spucken. Sie befanden sich in einem trockenen, sandigen Gebiet, wo Speichel fast so kostbar war wie Blut.
Vor ihnen, im Osten, hob und senkte sich der Sand wie Gehirnwindungen. Tiere mit überdimensionalen Brustkörben ließen sich nirgends blicken. Aber Kappie schon. Sie hüpfte wie ein junger Hund zwischen den Dünen umher. Wenn Carlottas nördliche Hemisphäre ein Fossil enthielt, so würde Kappie es sicher finden, bevor der Tag zu Ende ging.
Francis überlegte, ob er sich zu ihr gesellen und die Gelegenheit nutzen sollte, um eine Andeutung hinsichtlich seiner Interessen zu machen. Aber es war an der Zeit, den Korkenzieherkäfer zu füttern. Seine Zuneigung zu Ollie war weiß Gott nicht durch fleischliche Gelüste belastet.
Als er den Spezimen-Raum betrat und zu dem Glasstahlkäfig eilte, sah er, daß der Cortexclavus areteus noch ganz der alte war, mürrisch und majestätisch. Er hatte dem Tierchen lebende Verne-Würmer gegeben, wann immer es in eine bestimmte Richtung gekrabbelt war, und bei jedem Bissen einen hellen Lichtstrahl direkt in das linke, aus mehreren Teilen zusammengesetzte Auge gerichtet.
Nach drei Lektionen brauchte er nur noch ein Streichholz anzuzünden, und Ollie, der über eine rasche Auffassungsgabe verfügte und ein unersättlicher Fleischfresser war, begann einen Steptanz.
Francis gab sich keinen Illusionen über das Erkennungsvermögen der Insekten hin. Er wußte, daß ihre Intelligenz erstaunlich, profund und unheimlich war – und verwirrend beschränkt. Wie alle Käfer war auch der Cortexclavus areteus in einer Evolutionsnische
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