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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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tief hinabgefahren waren, vermutlich unter das Flußbett. Burne fütterte den Computer mit diesen Neuigkeiten. »Der Grund des Flusses liegt nur einen Meter über uns«, schloß er, »falls der Pythagoreische Lehrsatz irgendwas zu bedeuten hat.«
    Unter dem Kommando des Mikrocomputers fraß sich das Magnumauto auf einem neuen Kurs weiter, parallel zur Oberfläche des Planeten, und sprang munter voran. »Zehn Dezimeter«, sagte Burne. »Neun – acht – sieben…«
    Aber Francis’ Gedanken befaßten sich nicht mit solchen Messungen, sondern mit grausigen Todesarten. Wenn das Auto zu hoch hinauffuhr, würde es sich in das Flußbett graben, und der Fluß würde sich auf sie ergießen. Dann hätten sie genauso viele Chancen wie ein Sorbet auf der Sonnenoberfläche.
    »Drei – zwei…«
    »Das ist es«, wisperte Luther.
    »Eins.«
    Francis schluckte. Luther spuckte. Die Erde blieb fest.
    Neue Probleme tauchten auf. Das Erdreich, von der exotischen Brühe des Flusses benetzt, klammerte sich am Bohrer fest, verstopfte die Löcher, und das Gerät funktionierte nicht mehr, gab ein Geräusch von sich, das Gurgeln mit Vogelzwitschern kombinierte.
    Burne schaltete den Bohrmotor ab, dann legte er plötzlich den Rückwärtsgang ein, stellte den Motor wieder ab, setzte das Magnumauto zurück. Schlammklumpen flogen in die Luft und bespritzten den Vorderteil der Sichtblase. Burne zog den Vorwärtshebel des Bohrers nach unten, fuhr blind wie ein Maulwurf in den Schlamm hinein. Die Maschine bewältigte zehn Zentimeter, dann klemmte sie.
    Fluchend und schwitzend lösten sie einander am Steuer ab. Luther brachte das Auto dazu, in einer Stunde zwei Meter zurückzulegen. Francis entfaltete ein Talent, von dessen Existenz er bisher nichts geahnt hatte, und schaffte drei Meter.
    Als sie endlich die andere Seite des Burggrabens erreichten, verriet Luthers Armbanduhr, daß sie den ganzen Nachmittag lang und bis weit nach Sonnenuntergang gebohrt hatten. Sie konnten weder die Sterne der Galaxis hoch oben noch das düstere Herz des Planeten tief unten sehen, doch ihr Wissen, daß sich die Nacht herabgesenkt hatte, war schmerzhaft real. Sie stöhnten vor Müdigkeit.
    »Nehmen wir mal an, die Mauer ist dreißig Meter dick.« Burne drehte an den Knöpfen des Machskops. »Okay, Luther?«
    »Gehen wir zur Sicherheit von fünfzig aus.«
    »Dieses Spielzeug wird uns die genaue Zahl sagen.«
    Das Machskop blinkte, die Nadel drehte sich in stummen Kreisen. Burne drückte auf den Knopf Nummer zwölf, das Tempo der Nadel beschleunigte sich, und ein lustloses elektrisches Geräusch blökte, wann immer eine Drehung beendet war. Dieser Laut bedeutete: festes Gestein, zwölf Meter weiter oben.
    Jetzt war es nicht mehr schwierig weiterzufahren. Die Erde war fest, und das Tempo beschleunigte sich. Drei Meter, sechs, neun… Das Machskop begann zu pulsieren. Hell, dunkel, hell, dunkel. Ein Geräusch, das an eine fröhliche Pikkoloflöte erinnerte, erfüllte das Magnumauto, und das bedeutete: freie Luft, zwölf Meter weiter oben. Burne blickte auf den Entfernungsmesser. Sie waren neuneinhalb Meter unter den Grundfesten der Mauer dahingefahren. »Sie ist schmaler, als wir dachten, aber trotzdem ziemlich massiv.« Er drückte auf eine Taste, und der Mikrocomputer steuerte steil nach oben.
    Francis wurde gegen die hintere Wand der Sichtblase geschleudert, hielt den Glasmetallkäfig fest und beruhigte Ollie, er solle sich keine Sorgen machen. Vierzig Minuten später durchbrach der Bohrer die Oberfläche, das Magnumauto schoß aus dem Loch und landete auf festem Boden.
    Sie waren in einem Sternenlosen Raum aus Glas angekommen.
     
    »Gottes magische Mausefalle!« rief Burne, als sie alle aus dem schlammverkrusteten Auto gestiegen waren. Luther aktivierte ein Luminon, das Licht in alle Richtungen versprühte.
    Der Raum war nicht groß. Fast jeder Achtzigtausend-Dancs- pro-Jahr-Vizepräsident daheim auf der Erde hatte ein viel größeres Büro. Aber durch seine gestaltlose Leere wirkte er riesig. Es war ein strenger Geschmack gewesen, der die Einrichtung dieses Raums bestimmt hatte. Bevor die Nerdenbewohner eingetroffen waren, hatte sich überhaupt nichts darin befunden – keine Fenster, kein Stuhl, keine Couch, kein Bett, kein Teppich, keine Tür, keine Wandleiste, keine Ritze, kein Mauseloch. Kein Staub. Die vier identischen Mauern waren so glatt und dunkel wie gefrorenes Bohnenlausblut. Die hohe Zimmerdecke, ebenso glatt und dunkel, schloß den Raum wie der Deckel

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