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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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stehen. Das Publikum schwieg.
    »Da es keine weiteren Fragen gibt, werden wir zu bohren anfangen.«
    Der Gnom wühlte in den Instrumenten, fand eine kleine Flöte und trat an das Ende des Tisches. Von Francis’ Füßen eingerahmt, krümmte er die Finger und begann leise zu blasen. Die Melodie klang unheimlich. Inzwischen beugten sich, unsichtbar und unspürbar, Tez und der Riese über Francis’ Kopf, um ihr Werk zu beginnen.
    »Stört es Sie, daß wir keine Mundtücher tragen?« fragte Tez. »Die Mikroorganismen von Luta sind keine Krankheitserreger.«
    »Das haben unsere Sensorensonden auch schon festgestellt. Sagen Sie mal – wird diese Musik mir zuliebe gespielt?«
    »Mir zuliebe. Gefällt sie Ihnen?«
    »Ich würde alles dafür geben, wenn ich so spielen könnte.« Das war eine dumme Bemerkung, aber allein schon der Gedanke, daß er mit dieser Quetzalianerin sprach, war ihm unendlich kostbar.
    »Und ich würde die Warzen auf meinem rechten Arm dafür geben.« Tez’ gedämpfte Stimme drang nicht bis zur Galerie hinauf. »Mein Flötist ist nach dem quetzalianischen Standard keineswegs ein Meister seines Fachs.«
    »Die Nerdenmenschen spielen eine andere Musik.«
    »Ich würde Ihre Nerdenmusik gern einmal hören.«
    »Wenn Burne und ich in unser Schiff zurückkommen, leihe ich Ihnen unseren Musikrecorder aus.«
    »Schön und gut, aber solche Maschinen sind hier verboten. Übrigens, wir haben jetzt Ihre Schädeldecke durchschnitten, Doktor – die Haut, die Muskeln, die Beinhaut, die Kopfschwarte – alles. Ich kann Ihr Gehirn sehen.«
    Seltsam, dachte Francis, ich fürchte mich überhaupt nicht. »Ist da viel Blut?«
    »Genug, um eine Ratte zu ertränken. Aber mein Assistent gießt genau die richtige Menge Gerinnungsmittel darauf und durchschneidet die richtigen Blutgefäße. Machen Sie sich keine Sorgen – wir wissen schon, was wir tun.«
    »Ich vertraue Ihnen ganz instinktiv.«
    Plötzlich ertönte ein lautes, knirschendes Geräusch.
    »Was ist das?« Francis’ Vertrauen begann merklich zu schwinden.
    »Metall, das sich an Knochen reibt.«
    »Es klingt schrecklich.«
    »Sie sind hier in der Craniatomie, Dr. Lostwax, und wir sind keine vertrottelten Anfänger. Zuerst muß man mal Löcher bohren, nicht wahr? Dann verbinden wir die Löcher mittels einer Säge. Das gleicht so ungefähr der Methode, mit der mein Vater Felsblöcke aus den östlichen Steinbrüchen heraushaut.«
    »Unterhalten wir uns lieber über etwas anderes. Warum sind Maschinen verboten?«
    »Tolca, unser Gott des Friedens, ist dagegen.«
    »Ich verstehe«, erwiderte er mit einem deutlichen Mangel an Begeisterung. Francis war in seinem Atheismus immer ökumenisch gewesen. Und er war gewillt, an diesen Tolca-Typ ebensowenig zu glauben wie an Jahve, Jesus, Buddha, Vischnu oder an einen der anderen Namen, die sein Vater mit dem »Zwang, das Offensichtliche zu verkennen« gleichzusetzen pflegte.
    »Sie müssen verstehen«, fuhr Tez fort, die seinen Widerstand spürte, »daß die Götter von Zolmec keine schleierhaften Versprechungen von sich geben, die auf der Erde, wie uns die Historiker mitteilen, so überaus beliebt waren.« Das Knirschen verstummte. »Sie weigern sich nicht, vor uns zu erscheinen. Sie sind hier, unter uns, in so greifbarer Form, daß man mit den Zehen dagegenstoßen kann. Dieses Messer…«
    Sie ließ ihr Skalpell vor den Augen des Patienten baumeln. An der Obsidianklinge glitzerte frisches Francis-Lostwax-Blut. Der Griff war mit zierlich eingravierten Vögeln und Fischen verziert. »Dieses Messer ist kein Messer, sondern die Kraft und Schönheit des Intellekts. Wissenschaftler und Künstler haben es gemeinsam geschaffen, damit es kunstvoll in menschliches Gewebe eindringen und exquisite Wahrheiten über den Geist bloßlegen kann. Der springende Punkt besteht darin, daß die quetzalianischen Götter gar keine Gottheiten sind, sondern all die unschätzbaren Kräfte, die wir in uns selbst finden. Was sonst wäre anbetungswürdig?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, hauchte Francis tonlos.
    »Ihre Hirnschale ist geöffnet.«
    »Ich habe Angst.«
    »Sie haben heute morgen Cuiclo getrunken. Wenn Sie jetzt schläfrig werden, kämpfen Sie nicht dagegen an. Lassen Sie sich einfach ins Nichts fallen – und träumen Sie.«
    »Ich wünschte, dieser Planet wäre ein Traum.«
    »Haben Sie schon einmal ein lebendes menschliches Gehirn gesehen, Dr. Lostwax, pulsierend, voll korallenrotem Blut?«
    Francis dachte einen Augenblick lang

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