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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Erden-Sträfling erzählte, der so viele brillante Gefängnisausbrüche absolvierte, daß man ihn schließlich ehrte, indem man stets dieselbe Nummer für ihn reservierte. Die Diskussionsredner verbeugten sich lächelnd und nahmen stehend Ovationen entgegen.
    »Sehr reizvoll«, überschrie Francis den Lärm, mit einem Gähnen, das ehrlicher war als seine Worte.
    Tez ignorierte ihn und schleuderte ein »Bravo!« in die Arena hinab.
    Die vertraute Stimme bewog Huaca, sich durch die Schar seiner Bewunderer zu drängen. Seine geschwächten Augen wanderten über die Menge, die sich zu zerstreuen begann, hefteten sich erfreut auf Tez. »Schwester! Wie bezaubernd!« Er bahnte sich einen Weg durch die Arena. »Wer ist dein Freund?«
    »Das wirst du nie erraten.«
    »Guten Tag«, sagte Francis förmlich.
    »Kommen Sie aus den Bergen?« fragte Huaca. »Für einen Landstreicher sehen Sie recht gebildet aus.«
    »Ich komme von weiter her«, entgegnete Francis ausweichend.
    »Was ist weiter weg als die Berge?«
    Tez mischte sich ein. »Frag mich doch nach Vater, Huaca.«
    »Das wollte ich gerade tun.«
    »Er ist immer noch am Leben, dank deiner makellosen unausgesetzten Abwesenheit von seinem Krankenbett.«
    »Ich war beschäftigt. Es braucht seine Zeit, wenn man sich auf so eine Debatte vorbereitet.«
    »Das Sterben braucht auch seine Zeit.«
    »Sein Zustand ist keineswegs so ernst, Tez. Gestern habe ich mit Mool gesprochen. Vater kann wieder gehen.«
    »Er ist ein einziges Mal gegangen. Und die Nebenwirkungen sind noch nicht aufgetreten.«
    »Halt mich auf dem laufenden«, sagte Huaca lakonisch.
    »Vielleicht möchtest du schon jetzt einen Termin für das Begräbnis festmachen, damit es später keine Streitereien gibt.«
    »Wir wollen doch fair bleiben, Tez.«
    »Es wäre fair, wenn du Vater endlich einmal besuchen würdest.«
    Huaca rammte sich den Daumen mehrmals ins Brustbein. »Ich verspreche es, verspreche es, verspreche es. Auf Wiedersehen, Schwester!« Er wandte sich ab, um zu seinem Fanklub zurückzukehren, blickte aber noch einmal über die Schulter. »Und Ihnen sage ich lebwohl, Raumfahrer!« flüsterte er mit erheblicher Lautstärke. »Ich meine – was sollen Sie denn sonst sein?«
     
    »Ich dachte, Sie wären optimistischer, was Ihren Vater betrifft«, sagte Francis, als die Janet-Vij-Gedenk-Arena zu einer dunklen Masse am Horizont zusammenschrumpfte.
    »Ich bin optimistisch. Aber ich muß dafür sorgen, daß mein Bruder wenigstens mit den Zehen auf dem Boden bleibt. Ich muß ihn humanisieren.« Tez behauptete, Huaca würde eine Welt herbeisehnen, in der jedermann als körperloses Gehirn durch den Äther schwebte wie ein Papierdrachen, wobei die Wirbelsäule als Schnur herabbaumelte und mit den anderen Gehirnen telepathisch debattierte. »Aber statt dessen wurde er in Quetzalia geboren, wo die Leute Verwandte und Verpflichtungen haben.«
    »Er ist ein guter Diskussionsredner.«
    »Oh, Huaca ist zweifellos ein Genie. Aber wenn man ihn um einen Liebesdienst bittet, um einen ganz simplen kleinen Gefallen, leidet er sozusagen an Verstopfung. Er hat sich niemals in seinem bisherigen Leben einen trivialen Moment gestattet.«
    »Ich habe immer bedauert, daß ich keinen Bruder habe. Vielleicht sollte ich das nicht tun.«
    »Einen Bruder zu haben – das war für mich immer genauso, wie Schamhaare zu haben. Man hat sie – aber wozu sind sie gut, zum Teufel?«
    Dann schwiegen sie, und Francis wand sich wieder einmal vor Verlegenheit. Die Straße wurde besser, ging in eine Asphaltbahn über, während sich das Grasland ringsum in eine öde Steppe mit Sandstreifen verwandelte. Endlich fiel ihm ein, was er sagen könnte. »Sind wir in der Nähe eines Meeres?«
    Tez spielte eine Art Fadengeduldspiel mit den Zügeln. »Ja. Aca lebt hauptsächlich von Fischen. Ich habe ein Strandpicknick geplant.«
    Nun gab es nur noch Sand, dann kam ein Sumpf, dann der Ozean, ein endloser glasiger Streifen, der in unerwartetem Orangegelb schimmerte. Francis blickte mit zusammengekniffenen Augen nach Norden, studierte die fernen Silhouetten, wo sich der Sumpf und das Meer vereinten. Eine Pyramidenreihe, trübe und verschwommen im Licht der tiefstehenden Sonne, kündete von einer großen Stadt.
    »Übrigens«, plauderte Tez fröhlich. »Warum beschließen wir nicht, irgendwann heute nachmittag miteinander zu schlafen?«
    Eine Fermentkugel hätte Francis’ Magen nicht empfindlicher desorganisieren können. Er brach in ein albernes, stotterndes

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