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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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hätte.
    Es machte Burne nichts aus, mutige junge Frauen in Notwehr zu töten oder sein Leben in heftigen Kämpfen zu riskieren, aber es störte ihn gewaltig, auf der falschen Seite zu stehen. Am nächsten Tag trat er aus der Rationalistenpartei aus und bat seinen Kapitän um einen Schreibtischjob. Den Rest seiner Polizeidienstzeit verbrachte er damit, dunkle Machenschaften in Aktenordnern abzuheften.
    Bei seiner gegenwärtigen Aufgabe wußte Burne, daß er auf der richtigen Seite stand. Die Zolmec-Priester hatten ihm gestanden, daß sich ihre Rasse der Gewaltlosigkeit verschrieben hatte, und wenn er auch nicht glaubte, daß der quetzalianische Pazifismus total war, sah er sich dazu gezwungen, zuzugeben, daß der Vater auf der großen Mauer eine Zurückhaltung bewiesen hatte, die ans Übernatürliche grenzte.
    Außerdem war es ihm während seiner Debatten mit den Dschungelbewohnern nicht gelungen, Heuchler zu entlarven. »Was würden Sie tun, wenn Sie morgen heimkämen – und jemand Ihre Schwester vergewaltigen würde?« erinnerte er sich eine Feuermooshauerin gefragt zu haben, eine Frau mit hohen Backenknochen, die wie Nofretete Jones, der Kino-Epen-Star, aussah. Es war eine Frage, die man allen jungen Nerdenmännern stellte, die sich aus Gewissensgründen weigerten, in den Polizeidienst zu treten. Die Einberufungsoffiziere hegten keine Bewunderung für solche Ansprüche. Die jungen Leute sollten glücklich sein, ihrem Planeten dienen zu dürfen, und die jungen Leute, die das nicht wollten, verdienten es, ihrem Planeten zu dienen.
    »Ich würde ihm sagen, daß er aufhören soll, meine Schwester zu vergewaltigen«, erwiderte das Nofretete-Jones-Double.
    »Das ist alles?«
    »Das ist alles – da ohnehin niemand auf die Idee käme, meine Schwester zu vergewaltigen. Sie sind hier in Quetzalia, Mr. Burne.«
    »Und wenn hier jeder so dächte wie Sie? Würden Sie da nicht von Ihren Feinden überrannt werden?«
    »Hier denkt jeder so wie ich. Und deshalb haben wir keine Feinde.«
     
    Bevor er sich niederlegte, beauftragte Burne sein Unterbewußtsein, ihn drei Stunden später zu wecken. Er fühlte die Nähe des Gehirnfressers, konnte praktisch seinen giftigen Atem riechen. Es war viel besser, Schlaf zu verlieren als Zeit. Wenn er seinen Weg noch während der Nacht fortsetzte, würde er seine Beute im Morgengrauen fassen.
    Er hatte Glück. Der nächtliche Himmel leuchtete klar und wolkenlos, erlaubte es der Milchstraße, ihr Licht herabzugießen und die Bäume zu versilbern. Seit vierzig Tagen spendeten ihm diese Sterne das einzige Licht, seit sich der Dschungel zu einem undurchdringlichen Gewirr verdichtet hatte, seit er gezwungen gewesen war, den Lipoca, einen Teil seines Proviants und seine Ausrüstungsgegenstände, inklusive einer Öllaterne, zurückzulassen. Jetzt war sein Rucksack nur noch mit ausgewählten lebensnotwendigen Dingen gefüllt – mit Nahrungsmitteln, Streichhölzern und einer Methode, Neurovoren zu töten.
    Als er planmäßig erwacht war, schulterte er seinen Rucksack und betrat den Dschungel mit dem unbehaglichen Gefühl, daß sich nun das Ende der Jagd näherte. Er hatte noch keine zwanzig Meter zurückgelegt, als ein Lichtpunkt im fernen Dunkel hüpfte, entweder ein gigantischer Verwandter des mythischen Glühwürmchens oder ein Mensch mit einer Laterne. »Wer sind Sie?« schrie Burne.
    Das schweigende Wesen näherte sich. Es war ein Mensch mit einer Laterne.
    »Ein Kurier«, antwortete eine heisere Stimme. Im Licht der Flamme, die von Glas umhüllt war, sah die junge Frau ätherisch und geisterhaft aus – ein Irrlicht. Ihr hübsches Gesicht und die biegsamen Glieder weckten in Burne eine nostalgische Sehnsucht nach der Nerdenholovision. Diese provokative Schönheit hatte er schon tausendmal in Nahaufnahme gesehen, während sie ihm geraten hatte, das richtige Deodorant zu verwenden, das geeignete Magnumauto zu kaufen und einen Idioten aus sich zu machen.
    Burne trat in den Laternenschein und tat kund, daß er der berühmte Besucher aus dem All war. »Ticoma Tepan«, stellte sie sich vor. Er erwartete, daß Ticoma ihn wie alle anderen Kuriere, die er getroffen hatte, nach Neuigkeiten fragen und dann nach Aca oder Tepec weiterrasen würde. Aber er erfuhr, daß sie die Absicht hegte, während der nächsten acht, neun Stunden bei ihm zu bleiben – wie lange es auch immer dauern mochte, bis er den Gehirnfresser schnappte.
    »Es wird nicht leicht sein, mit mir Schritt zu halten«, warnte er sie. »Und

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