Der Wein des Frevels
Eden Zwei auf dem Planeten Nerde gelandet. Dies war das größte Abenteuer des einundzwanzigsten Jahrhunderts gewesen, eine Chance, die Kalamität namens Erde zu begraben und zu vergessen und einen neuen Anfang zu wagen. Alle hatten damals ins All aufbrechen wollen.
Das Ziel war ein älterer Stern, UW Canis Majoris, so benannt, weil er einer Konstellation angehörte, die, von der Erde aus betrachtet, einem großen Hund ähnelte – wenn man viel Phantasie besaß. Es stellte sich heraus, daß UWCM von vielen Satelliten umkreist wurde. Mindestens einer von ihnen würde dem Homo sapiens einen adäquaten Lebensraum bieten, und man beschloß, diesem gelobten Planeten, sobald man ihn erreicht hatte, den phantasielosen Namen Neue Erde zu geben. Und als Eden Zwei dort gelandet war, hatten Etymologie und Mundfaulheit die Neue Erde zu Nerde dezimiert.
Die Reisenden waren ebenso wie das Ziel aufgrund von Toleranzaspekten ausgewählt worden. Niemand durfte sich eintragen, wenn er überzeugt war, sein Alter, sein Geschlecht, seine Rasse und sein Recht auf Rettung würden etwas beinhalten, was dem Alter, dem Geschlecht, der Rasse oder dem Recht auf Rettung vorzuziehen wäre, die ein Mitmensch aufzuweisen hatte. Diese Vorsichtsmaßnahme machte sich bezahlt. Während die Eden Zwei ihre Sonne suchte, herrschte reine Herzensgüte an Bord. Den Passagieren, die an Vernunft und soziale Planung glaubten, wurde großzügig von jenen verziehen, die an Seancen und übersinnliche Wahrnehmung glaubten. Und die Passagiere, die an Seancen und übersinnliche Wahrnehmung ihr Herz hingen, waren eifrig bestrebt, sich von jenen unterrichten zu lassen, die an Boyles Gesetz und den Doppler-Effekt glaubten. Man begann sich zu paaren, ohne auf Rassenbarrieren Rücksicht zu nehmen – von akzeptablen Verbindungen über modische bis zu banalen –, bis das ganze Volk sechs Generationen später eine Einheitshautfarbe angenommen hatte, wie Kaffee mit zwei Löffeln Sahne.
Und nachdem man die Nerde gefunden und kultiviert hatte, entstand eine andere Ethik – eine Tatsache, die in den Geschichtsbüchern übergangen wurde, die Francis jedoch von seinem unangepaßten anarchistischen Vater gelernt hatte. Im Gegensatz zur Eden Zwei mit ihren streng rationalisierten Vorräten strotzte die neue Heimat vor Schätzen, deren man sich einfach bedienen konnte, und was wäre ein besserer Nährboden für Habgier, Neid, Ausbeutung, Wuchergeschäfte und Politik.
Die Leute fanden immer ingeniösere Methoden, einander zu hassen. Wenn die überkommenen Reizmittel von Geschlecht und Nationalität nicht mehr wirkten – nun, dann schieden sich die Geister eben am Temperament. Auf der einen Seite der Zivilisation standen die gefühlsbetonten Romantiker, die sich weigerten, Intuition von Wahrheit zu trennen. Ihre Feinde waren die Rationalisten, die Hüter des Intellekts, die Entlarver der Illusionen, die Vernichter derSeifenblasen. Wenn die Rationalisten an der Macht waren, wurden Unsummen für Industrie und Technologie ausgegeben, und das Waisenhaus weiter unten an der Straße mußte ohne Neubau auskommen. Wenn die Romantiker regierten, zog alles hinaus in die freie Natur und redete mit Gott, und das Waisenhaus weiter unten an der Straße mußte wiederum ohne neuen Trakt auskommen. »Selbstgefälligkeit tötet alle Utopien«, pflegte Francis’ Vater zu seinem Sohn zu sagen.
Wie die anderen Monumente der Wissenschaft stand das Galileo-Institut selbstredend im Lager der Rationalisten, wenn auch viele Mitglieder bestrebt waren, ihre Neigung zu den schönen Künsten und ihren Abscheu vor allzu weltlichen Dingen zu demonstrieren. Kappie plante, einen Roman zu schreiben, Francis hatte einen Essay mit dem Titel »Das geistige Wesen der Bohnenlaus« herausgegeben, und Luther spielte Harfe.
Knapp fünf Jahre nach der Einweihung der Nerde wurde ein junges Mädchen gelyncht, weil es zum Anführer einer Kultbewegung, die sich für das überlegene Bewußtsein einsetzte, irgend etwas Komisches gesagt hatte. Bald darauf wurde auch das erste Gefängnis des Planeten eröffnet. Seine Gitterstäbe bestanden aus einem neuen Metall namens Crysanium, das unter unvorstellbaren Bedingungen gefördert und mit beispiellosem Profit verkauft wurde.
Im Juni 2283 schloß die erste Generation eifriger junger Gesetzeshüter ihr Studium an der Nerdenpolizeiakademie ab. Sie stopften ihre Bandeliere mit Patronen aus künstlichem Ferment voll und schützten das Recht der Nichtgewerkschaftler, in den
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