Der Wein des Frevels
Gewalt und Frevel zu füttern, in einer ausreichenden Menge, um einen Mann zu einem Soldaten, aber nicht zu einem Amokläufer zu machen, zu einem Nerdenmenschen, aber nicht zu einem Gehirnfresser. »Wir brauchen nur eine vorübergehende Veränderung. Ja, das ist es. Ein Quetzalianer kann in einer knappen Opoche zur Oase und wieder zurück reiten. Er müßte keinen einzigen Gottesdienst versäumen.«
Burne, der Kühnheit liebte, wo immer er sie finden konnte, war entzückt von dieser Idee. »Aber die Theorie allein wird uns nichts nützen. Wir müssen die chemische Zusammensetzung von Noctus kennenlernen. Wir müssen biophotonische Experten werden.« Er schlug ein Nachmittagsrendezvous in der Iztac-Bibliothek vor, für den nächsten Tag.
»Warum warten wir bis zum Nachmittag?«
Burne blies sich auf und verkündete in einem Tonfall, der theatralischen Pomp mit authentischem Stolz kombinierte, die Geistlichkeit würde seine Tapferkeit morgen vormittag mit jenem aufwendigsten, fröhlichsten aller Spektakel ehren, mit einer Parade – falls das Wetter es erlauben sollte.
Es stellte sich heraus, daß die Parade so aufwendig war wie ein einfacher Knoten und so fröhlich wie eine Leichenschau. Sie diente nicht dem Zweck, Burnes Triumph zu feiern, sondern, die Gewalttat zu beklagen, die er in Quetzalia begangen hatte. Das letzte Mal war so ein Ritual vor zehn Opochen abgehalten worden, am zweihundertfünfundzwanzigsten Jahrestag eines wichtigen Prophetistensieges. Auf einem der Festzugwagen hatte man die Schlachteninterpretation eines Bildhauers gesehen, Neurovorenleichen, die in der Sonne verwesten, von Würmern zerfressen, wie Mahnmale an die Holzwand genagelt, die dem Tolca-Tempel vorausgegangen war.
Den Kindern, die sich die jetzige Parade ansahen, fiel es schwer, wach zu bleiben. Priester und Priesterinnen in schwarzen Roben trotteten in langweiligem Gleichschritt den langen Damm hinab, die Gesichter hinter Masken verborgen, steinerne Götter und Weihrauchgefäße in den Händen balancierend. Vaxcala hatte Burne auf einen symbolischen Platz gesetzt, in die Nische einer niedrigen Mauer, deren Friesverzierung Neurovoren bei diversen schauerlichen Beschäftigungen darstellte. Jeder Kleriker, der an ihm vorüberging, versicherte ihn seiner Dankbarkeit und seines Mitgefühls – »Sie haben Quetzalia gerettet, und es tut uns leid, daß Sie töten mußten.« Und Burne mußte sich sehr beherrschen, um nicht eine seiner üblichen launigen Bemerkungen zu machen, zum Beispiel: »Was ich in meinem Gesicht habe, sieht zwar wie ein Bart aus, aber in Wirklichkeit ist das Schamhaar.« Oder: »Glauben Sie nicht auch, daß der Durchschnittsmensch den Geruch seiner eigenen Furze viel inniger liebt, als das allgemein vermutet wird?«
Als die kummervolle Parade endlich beendet war, ging Burne in die Iztac-Bibliothek, wo Francis an der Nordfront saß und in einer ledergebundenen Ausgabe von Janet Vijs Biophotonik las. Gelehrte strömten die von Jaguaren gesäumte Treppe hinauf und hinab. Niemand merkte etwas von der Nerdenintrige, die im hellen Sonnenschein nahe dem Eingang zum Reptilienmuseum gesponnen wurde.
Francis berichtete, daß die Biophotonik unglücklicherweise nicht viel mehr war als ein Reparaturhandbuch und keineswegs die lehrreiche wissenschaftliche Abhandlung, die er erwartet hatte. Zweifellos war dieses Werk für den Klerus, der die heiligen Maschinen warten mußte, unverzichtbar, aber was die Phantasien betraf, machte Vij nur flüchtige, eher widerwillige Angaben. Die chemische Zusammensetzung von Noctus blieb ein Geheimnis.
Aber es gab auch gute Neuigkeiten. Francis hatte Loloc Haz, den hübschen Marionettenbiologen, dem er seine entomologische Dozentur verdankte, angelogen, daß sich die Balken bogen. Er hatte ihm eingeredet, Vaxcala würde wünschen, daß ihre Nerdengäste alles über die Biophotonik erführen, damit sich diese wunderbare Technologie in der ganzen Galaxis ausbreiten könne. Daraufhin nahm Loloc eine Krähenfeder von seinem Schreibtisch und verfaßte einen Brief, der seinen Besitzer zu einem Einblick in Janet Vijs unveröffentlichte Notizen berechtigte. Er überreichte Francis den Brief mit einem Widerstreben, das schmerzlich zu beobachten war. »Was immer Sie auch lernen, Francis – reden Sie in Quetzalia nicht darüber. Wenn Zolmec seinen Glanz einbüßt, verliert es auch seine Jünger.«
Das Schreiben war an eine gewisse Loi Zeclan adressiert, die Francis und Burne in einem
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