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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Labors in der Bibliothek hatte zu funktionieren aufgehört, irgendwann zwischen der Entdeckung, daß Noctus keine Mißbildungen hervorrief, und dem erfolgreichen Versuch, der quetzalianischen Regierung die Kriegsidee zu verkaufen. Francis öffnete die Tür, trat ein, hob die Laterne hoch.
    Überall lagen Staubhäufchen wie frischgefallener Schnee. Francis hielt den Atem an, damit er nicht husten mußte. Der suchende Flammenschein wanderte über gestapelte Notizblätter, eine Geisterstadt aus leeren Käfigen, und heftete sich schließlich auf eine Ecke am anderen Ende des Zimmers. Francis holte eine Steingutflasche, die unbenutzte Deziliter jener Lösung enthielt, die sie Zamanta eingeimpft hatten.
    Die Flasche in der Hand, verließ er das Labor und ging in die Küche, wo die Spritze auf einem Fensterbrett lag, glitzernd im Sternenlicht, auf das grüne Tuch gebettet. Der Herd war mit Holz vollgestopft, und es bereitete ihm keine Mühe, ein Feuer zu entfachen und Wasser zu erhitzen. Auch wenn Lutas Keime tatsächlich so wirkungslos waren, wie es behauptet wurde – es erschien ihm trotzdem ratsam, eine Injektionsnadel zu sterilisieren.
    Finsternis beherrschte das Schlafzimmer. Francis trat lautlos ein, mit flauem Magen. Er stellte die Flasche auf den Nachttisch und begann an dem Stöpsel zu drehen, der fest darin steckte, von erstarrten Alpträumen gefesselt. Nach zwei anstrengenden Minuten war Noctus befreit. Die Spritze begann zu trinken.
    Francis öffnete das Fenster, schoß den Frevel der Gewalt in die Nacht hinaus, bis der Zylinder die richtige Dosis für einen erwachsenen Menschen enthielt, keinen Tropfen mehr. Auf leisen Sohlen näherte er sich dem Bett, zog ein gestärktes Leintuch von Tez’ Schenkeln. Sie bewegte sich, wachte aber nicht auf.
    Sie hat ihre Menschlichkeit geopfert – ist Zolmecs Sklavin… Die Droge wird die Placenta nicht erreichen… Ihre Menschlichkeit geopfert… Zolmecs Sklavin… Wird die Placenta nicht erreichen… Ihre Menschlichkeit geopfert… Zolmecs Sklavin… Wird die Placenta nicht erreichen… Ihre Menschlichkeit geopfert…
    Eines Tages wird sie mir dafür danken, dachte Francis, als er die haardünne Crysaniumnadel in ihr warmes Fleisch stach. Langsam zog er den Kolben zurück. »Kein Blut – gut…« Die Nadel hatte keine Vene getroffen. Er rang nach Atem, bewegte den Daumen und injizierte seiner Liebsten drei Kubikzentimeter Haß.

Es war Nacht, er war erschöpft, und trotzdem hatte Minnix Cies stichhaltige Gründe, um nicht einzuschlafen. Zum Beispiel war die Reise durch die Wüste so erstaunlich ereignislos verlaufen, daß ihm die Gefahr eines Hinterhalts nun doppelt wahrscheinlich erschien. Außerdem pulsierte durch seine Adern ein animierendes biophotonisches Stimulans namens Noctus.
    Und morgen könnte er ermordet werden.
    Er lag unter einem warmen, dicken, tröstlichen, zweimal zusammengefalteten Lipoca-Fell, mit weit geöffneten Augen. Minnix starrte zu der Felswand hinüber, die parallel zu seinem Gesicht verlief, und roch ihr rechtes Moos. Die Höhle, in die er sich gelegt hatte, reichte tief in eine Klippe hinein. Gelangweilt drehte er sich auf die andere Seite, blickte auf die Wüste, beobachtete die verglimmenden Lagerfeuer. Zuerst hatten sie das Essen erwärmt, jetzt wärmten sie die Soldaten. Aber wie viele mochten wohl schlafen? Nur wenige, dachte er, ganz wenige.
    Sogar in diesem bescheidenen Licht war die Wüste aufregend schön. Aber Minnix hatte sie, genau wie die anderen Freiwilligen, voller Angst durchquert, voll banger Erwartung, mit abgestumpften Sinnen. Wann immer er den Horizont mit den Augen abgesucht hatte, so war das nicht geschehen, um die wechselnden Farben der Dünen zu betrachten oder die vom Wind gemeißelten Wunderwerke der Klippen, sondern um festzustellen, ob sich irgendwo etwas regte. Wann immer er in die Nacht gelauscht hatte, so war es nicht das Rauschen der Brise zwischen den Felsen gewesen, das ihn interessiert hatte, oder das Zischen der Wüsteneidechsen, sondern er hatte versucht, Neurovorenschritte im Sand zu hören.
    Ein Tag war auf den anderen gefolgt, und das Glück hatte sie nicht verlassen. Einmal war ein erschöpfter Soldat zusammengebrochen, ein andermal hatten sie einen Munitionswagen reparieren müssen – aber bisher waren keine ernsthaften Probleme aufgetaucht. Welche Katastrophe würde sie in der Schlacht erwarten? Minnix erschauerte. Die Last der Verantwortung liegt auf Newman, dachte er, aber zum Teil auch auf mir,

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