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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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denn auf mein Drängen hin haben sich Dutzende von Freiwilligen gemeldet. Wenn wir versagen, wird man uns verachten, und eine Menge Blut wird an unseren Händen kleben.
    Angenommen, der Burggraben ließ sie im Stich… In zwei Fällen, bei zwei Menschen namens Zamanta und Momictla, hatte sich erwiesen, daß Janet Vijs Prophezeiungen stimmten. Sechs Tage lang waren diese beiden Bürger in der Gewalt ihrer Instinkte gefangen gewesen, dann hatten sie sich planmäßig wieder in Lämmer verwandelt. Aber wie würden sich die Leute verhalten, die nicht Zamanta oder Momictla hießen? Zum Beispiel der Mann namens Minnix Cies? Vielleicht ließ die Noctus-Wirkung im Gehirn anderer Personen früher nach? Wenn sie zum Beispiel nur drei Tage anhielt? Oder drei Stunden? Vielleicht wollte er gerade beginnen, einen hingestreckten Neurovoren aufzuspießen, und dann würde ihn plötzlich eine Lähmung befallen, die Klauen des Monsters würden die Kehle seines Angreifers aufreißen…
    Groteske Phantasien fanden mühelos Zugang zu Minnix Cies’ Gehirn. Er war ein Quetzalianer.
    Das für Burne Newman so typische Organisationstalent war voll zum Zuge gekommen, als sie sich injiziert hatten. Er hatte seine tausend Soldaten in vierzig Kolonnen von je fünfundzwanzig Mann geteilt. »Ampullen!«
    Tornister wurden auf den Boden geschwungen, und nach einer kurzen unmilitärischen Fummelei hatte jeder Quetzalianer eine Keramikkugel in der Hand, die eine Noctus-Dosis enthielt.
    »Soldaten!« Burne hob die Spritze und eine Ampulle in die Höhe. »Morgen greifen wir die Gehirnfresser an. Alle Zeichen weisen auf einen totalen Sieg hin. Ihr braucht nur mit euren Pfeilen zu zielen und zu schießen – aber vorher müßt ihr den Burggraben trinken!«
    Der Soldat, der an der Spitze der ersten Kolonne stand, war Minnix Cies.
    »Folgen Sie meinem Beispiel«, forderte Burne, ging auf ihn zu und füllte die Spritze. Er demonstrierte an seinem eigenen Arm, wie man die Nadel einführen und sich vergewissern mußte, daß man keine Vene getroffen hatte, doch er betätigte den Kolben nicht. Burne Newman hatte in seinem bisherigen Leben Dutzende wilder Tiere getötet, eine junge Crysaniumminenstreikerin und einen streunenden Neurovoren. Er brauchte keine Ersatzinstinkte.
    »Schaut ihm zu!« befahl er und schlug dem ersten Soldaten der Kolonne kräftig auf die Schulter, damit der Mann die Tortur seines Nachbarn beobachtete und aus allen Mißgeschicken, die vielleicht passieren würden, lernte. Bevor er Minnix die Spritze gab, leerte er ihren Inhalt auf den Boden und desinfizierte die Nadel mit einem Thermalstein.
    Minnix machte keinen Fehler. Mit einer Zuversicht, für die er keine Erklärung fand, füllte er die Dosis aus seiner Armeeampulle in die Spritze und stach die Nadel in seinen Deltamuskel. Langsam injizierte er sich die Lösung und überspielte den Schmerz des Einstichs, indem er an seine kleinen Brüder zu Hause dachte, an die Zwillinge.
    »Geben Sie alles weiter«, befahl Burne, und Minnix händigte dem Soldaten an der Spitze von Kolonne zwei Spritzen und Thermalstein aus. »Sie sind entlassen.«
    Minnix ging zu seinem Lipoca, gab ihm Zucker und wartete auf die Veränderung. Sein Arm schmerzte ein bißchen, ein grüner Rand umgab den Einstich. Bald würde er etwas Böses fühlen – was immer das auch bedeuten mochte. Würde er das Bedürfnis haben, seine Brüder zu erwürgen?
    Kein solcher Drang stieg in ihm auf. Noctus wirkte aufmunternd, sogar aufheiternd, wie quetzalianischer Kräutertee. Die Injektion tat ihm gut – sonst nichts.
    Die Soldaten gaben die Spritze weiter. Um Mitternacht war die ganze Armee im Besitz ihrer geheimen Waffe.
    Es gab keinen Zweifel daran, daß das Zeug wirkte. Während des ganzen Abendessens wurde um die Größe dieser oder jener Portion gestritten. Als die Dunkelheit hereinbrach, reichten die Zankäpfel von »Du hast meine Feldflasche gestohlen!« bis zu »Diesen Lagerplatz habe ich zuerst entdeckt!«. Zwei Frauen erinnerten sich, daß sie eine alte Rechnung zu begleichen hatten. Es ging um einen Liebhaber. Sie rannten an den Rand des Camps und prügelten sich wüst.
    Aber jetzt, da Minnix schlaflos unter der Klippe lag, machte er sich Sorgen darum, daß seine Aggressivität nachlassen könnte. Der Gedanke verflog, als ein Soldat herankam. Er konnte nur die Füße sehen, deren einer nun zurückglitt und gegen sein Knie trat. Minnix stöhnte.
    »Tut mir leid«, sagte eine fröhliche weibliche Stimme. »Ich mußte

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