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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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mit Krokant, die auf ihren Knien stand. Ein kleines Publikum hörte sich ihre bis jetzt harmloseste Geschichte von einem Wissenschaftler an, der eines Tages herausfand, daß die biblische Legende von Gott, der die erste Frau aus Adams Rippe geschaffen hatte, buchstäblich wahr sei. Mit Hilfe alchimistischer Künste verwandelte dieses Genie seine Gattin in eine Rippe zurück, doch dann wurde sie von einem Hund im Hinterhof vergraben.
    Gott der Gehirne, dachte Francis. Da sitzt eine Quelle so reicher Phantasie, und diese Leute interessieren sich viel mehr dafür, wie oft ich mein Toilettenpapier zusammenfalte.
    Sie Story hatte ein rätselhaftes Ende, das Francis an eine Allegorie erinnerte. Niemand war im Salon geblieben, um sich das Ende anzuhören, und Francis hatte Umia endlich für sich allein.
    Er erfuhr, daß sie nicht immer blind gewesen war. Vor sechs Jahren hatte sie nach einem neuen Narkotikum gesucht, und während eines fehlgeschlagenen Experiments hatte eine Explosion ihre Sehkraft zerstört, in einer Weise, daß sogar die quetzalianischen Pflanzen machtlos waren. Francis bekundete sein Mitgefühl, dann sagte er, was er auf dem Herzen hatte. »Ich bin neugierig, Umia. Kann ein blinder Mensch die Zolmec-Riten praktizieren?«
    »Das wäre unsinnig«, antwortete sie. »Ohne Bilder kann man den kybernetischen Looping nicht aufrechterhalten. In den letzten sechs Jahren habe ich keinen einzigen Tropfen in den Fluß des Hasses gegossen.«
    »Haben Sie keine Angst, daß Sie zur Mörderin werden könnten?«
    »Eigentlich nicht.« Umias Mundwinkel zuckten belustigt.
    »Aber sind Sie denn nicht aggressiver, wenn Sie kein Ventil für Ihre inneren Bedürfnisse haben?«
    »Zolmec verhilft uns nicht nur zur Sanftmut«, erwiderte sie in einem Ton, der ihm klarmachen sollte, daß das alles grundsätzliche Dinge waren. »Diese Religion lehrt uns auch, daß Sanftmut richtig ist.«
    »Aber Sie müßten doch eher zur Gewalttätigkeit neigen als alle anderen Leute auf dieser Party.« Dann fügte er lächelnd hinzu: »Außer mir.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
    Francis schob sich eine Handvoll Krokant in den Mund, schob mit einem Finger nach und begann zu kauen.
    Das Gespräch wandte sich nun anderen Themen zu – Burnes geschmacklosem Krieg (Umia fand ihn völlig überflüssig), den elterlichen Freuden und Leiden (Umia hatte vier Töchter) und natürlich den Korkenzieherkäfern (Umia mimte Faszination).
    Francis’ Blick fiel auf einen merkwürdigen Anhänger, der an einer Pflanzenfaserkette um Umias Hals hing, einen gläsernen Clownskopf. Er fragte, was das sei und zu bedeuten habe.
    »Ich lag gerade in der Klinik und kam mir wie Lipoca-Mist vor, als mir meine jüngste Tochter ein Geschenk brachte. Sie hatte es nicht gekauft, sondern selbst gemacht. Und die kleine Izta hatte es sogar selbst entworfen. Sehen Sie sich den Clown genau an! Er hat drei Wangen – das perfekte quetzalianische Symbol. Wenn wir jemandem zwei Wangen hingehalten haben und er bereits darauf geschlagen hat, haben wir noch eine dritte, die wir ihm zuwenden können.«
    Aber für Francis war der Clown kein Symbol, sondern ein Mittel zum Zweck – ein Mittel, um zu messen, wie tief Umias religiöse Gefühle gingen, ein Mittel, um festzustellen, ob er in den Prozeß von Tez’ Nerdenanpassung eingreifen mußte.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Clown tatsächlich drei Wangen hatte, stahl er ihn, zerriß die Schnur, legte den Glaskopf auf den Teppich.
    »Was haben Sie getan?« fragte Umia, als sie das vertraute Gewicht nicht mehr an ihrem Hals spürte.
    Francis griff in die Krokantschüssel, nahm vier Stück heraus, legte sie auf die Handfläche. Dann hielt er die Hand dicht an Umias Ohr, ballte sie zur Faust.
    »KRACK!«
    Umia interpretierte das Geräusch genauso, wie Francis es gehofft hatte. »Gott des Friedens!«
    »Ihre Götter werden Ihnen nicht helfen, Chactol-Auge! Ich zermalme Ihren kostbaren Tand zu winzigen Splittern.« Er war sehr zufrieden mit sich, weil er sich an die Chactols erinnert hatte, jene blinden Luta-Fische, und weil es ihm gelungen war, ganz spontan ein passendes Epitheton zu finden. »Los! Spucken Sie mir ins Gesicht! Kratzen Sie mir die Augen aus! Ich bin hier – direkt vor Ihnen! Verlieren Sie die Beherrschung! Tun Sie was!«
    Aber Umia saß nur stumm da, mit vorgewölbter, zitternder Unterlippe. Ihr Gesichtsausdruck glich beinahe der tiefen Verzweiflung in Zamantas Miene, als die Neurovoren seine Kinder

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