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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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rücksichtsloser Autofahrer) und dann den Rock ihres weißen
Leinenkleids raffend, als sie auf den Randstein trat, wurde ihm klar, daß sie
für das Treffen mit ihm auf Lamu ihr bestes Kleid gewählt hatte. Und während er
sie beobachtete, verstand er, warum sie sich verspätet hatte: sie hatte bereits
getrunken. Woher wußte er das? Weil sie ein wenig das Gleichgewicht verlor, als
sie auf den Gehsteig trat, und weil der Mann, der sie begleitete, die Hand
ausstreckte, als wüßte er über ihren Zustand Bescheid. Es mußte Peter sein,
obwohl der Mann älter aussah als auf dem Foto.
    Mit gesenktem Kopf stieg sie die Treppe hinauf und sah weiter zu
Boden, so daß sie an ihm vorbeiging, ohne ihn zu bemerken. Falls sie ihn doch
bemerkt hatte, wußte sie sich geschickt zu verstellen. Er mußte aus dem
Schatten treten und ihren Namen rufen. Ihren so durchschnittlichen Namen.
    »Linda.«
    Nein, sie hatte nicht gesehen, daß er dort stand. Das erkannte er
sofort – ihre Gefühle, die sie jetzt weniger unter Kontrolle hatte, machten
sich als Zucken in ihrem Gesicht bemerkbar. Es war der Schock. Die Freude. Die
Erinnerung, in welcher Lage sie sich befand. Sie trat einen Schritt auf ihn zu.
Keineswegs unsicher. Vielleicht hatte er sich getäuscht, was das Trinken
anbelangte. Er zwang sich, ihren Arm nicht zu berühren, der nach Berührung zu
verlangen schien.
    Der Mann bei ihr, der einen Moment lang verwirrt schien, drehte sich
ebenfalls um.
    »Thomas«, sagte sie. Und dann noch einmal: »Thomas.«
    Er war es, der die Hand ausstrecken und sich ihrem Begleiter
vorstellen mußte. Es war Peter. Vielleicht lag es einfach daran, daß sie die
Worte ›mein Mann‹ nicht aussprechen konnte.
    »Peter«, sagte sie, wieder Fassung gewinnend. »Thomas und ich kennen
uns seit der High-School.«
    »Wirklich«, sagte Peter, und er ähnelte auf absurde Weise Regina,
die unter gleichen Umständen genauso reagiert hatte.
    »Wir haben uns vor ein paar Monaten auf dem Markt getroffen«, sagte
Linda. »Wir haben die Überraschung schon hinter uns.«
    Es war ein erstaunlicher Satz. Vollkommen akzeptabel in diesem
Zusammenhang, sogar ganz normal und belanglos, aber zutiefst wahr. Bei dem
zufälligen Treffen waren sie beide so überrascht gewesen. So unglaublich
erstaunt.
    »Bist du noch immer in Njia?« fragte Thomas, dem nichts Passenderes
einfiel. ›Wäre man vielleicht besser in Konversation, wenn man Theaterschriftsteller
statt Lyriker geworden wäre?‹
    »Peter lebt in Nairobi«, sagte sie und erklärte, was bereits erklärt
worden war.
    »Das Pestizidprojekt«, sagte Thomas, als wäre es ihm gerade wieder
eingefallen.
    Der Mann hatte ein wenig vollere Wangen als auf dem Foto, und seine
Schultern waren schmal wie bei vielen Engländern. Aber er sah unbestreitbar gut
aus, und seine Gesten – er wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn und
schob dann eine Hand locker zur Hälfte in die Tasche – verrieten, daß er wahrscheinlich
auch charmant war. Aber dann bemerkte Thomas die Verwirrung auf Peters Gesicht,
als hätte der Mann ein seltsames, sogar beunruhigendes Geräusch wahrgenommen.
Vermutlich versuchte er, sich zu erinnern, wo er die Stimme schon einmal gehört
hatte, dachte Thomas. Wie lange würde es dauern, bis es ihm wieder einfiele?
Ganz so, als ahnte er bereits etwas, legte Peter den Arm um Linda und umschloß
mit der Hand ihre nackte Schulter.
    Die Flutwelle schwappte abrupt zurück und ließ Thomas wie einen
gestrandeten Seehund am Ufer liegen.
    »Und was machen Sie in Nairobi?« fragte Peter.
    »Meine Frau ist bei der UNICEF «,
antwortete Thomas. Und fügte im stillen verzweifelt hinzu: Und sie ist
schwanger.
    Er wollte Linda ansehen, fürchtete sich aber, es zu tun. Es wurde zu
einer Art pubertärer Unsicherheit.
    »Es gibt Champagner und Speisen«, sagte er, das Ehepaar freigebend.
Er deutete auf die Tür, obwohl er innerlich in sich zusammensackte.
    Ein wenig zögernd wandte sie sich ab und ging mit Peter, ihrem
Engländer, davon. Thomas folgte ihnen, weil er Linda nicht aus den Augen
verlieren wollte. Peter schien einige Leute zu kennen. Thomas beobachtete
Linda, die ein Glas Champagner von einem Tablett nahm (mit einer Hand den Schal
festhielt) und schnell davon trank, als müsse sie ihren Durst stillen, und er
betrachtete Peter bei seinen Unterhaltungen und haßte den Mann wegen seines
Charmes, wegen der Art, wie er den Kopf neigte und das Gesicht leicht abwandte,
während er zuhörte. Thomas folgte ihnen in kaum

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