Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
schicklichem Abstand, kam so
nahe, wie er es wagte, war aber doch viel zu weit entfernt von ihr. Ihre
Haltung war wundervoll, und der Rückenausschnitt war so tief, wie er ihn in
Erinnerung hatte (komplizierter BH , fiel ihm wieder
ein), und er dachte: ›Sie weiß es nicht. Sie weiß es nicht.‹
Roland, der sich wie ein Python durch die Menge schlängelte (nein,
das war unfair, so schlimm war Roland nicht), kam auf ihn zu. Er sah sich nach
einer Fluchtmöglichkeit um, entdeckte keine, und wußte, daß er zu Reginas Boß
freundlich sein sollte, so abscheulich er den Burschen auch fand.
»Wer ist Ihre Freundin?« fragte Roland zu Thomas’ Verblüffung.
»Welche Freundin?« fragte Thomas zurück und gab sich ahnungslos.
»Die Frau, mit der Sie auf der Treppe gesprochen haben? Der Sie
nachsteigen und die Sie mit den Augen verschlingen?«
Thomas erwiderte nichts.
»Hübsch«, sagte Roland mit Blick auf Linda. Sie stand seitlich zu
Thomas, gab alle Verstellung auf, sah zu ihm herüber und lächelte ihn an. Wie
man einen Freund anlächelt. Was unter normalen Umständen ganz harmlos gewesen
wäre, jetzt aber alles bedeutete.
Roland, der alte Schwerenöter, nickte. »Also«, sagte er, gierig nach
einer Geschichte.
»Ich bin bloß mit ihr in die Schule gegangen«, sagte Thomas. »Wir
haben uns vor ein paar Tagen bloß zufällig getroffen.« (Die Wiederholung des
Wortes ›bloß‹ verriet ihn, dachte er.)
»Na schön«, sagte Roland und machte deutlich, daß er kein Wort
glaubte. »Das sagen Sie.«
»Ist Jane hier?« fragte Thomas gereizt, der dummerweise auch
sticheln wollte. Der schlaue Roland lächelte, obwohl er dabei die Augen
zusammenkniff.
»Elaine?« fragte Thomas.
»Natürlich«, antwortete Roland gelassen. »Wo ist übrigens Regina?«
Thomas sah seine Ehefrau, eine Frau mit hohen Absätzen, die durch
den Raum auf ihn zukam. »Da ist sie«, sagte Thomas.
»Also kein Kennedy?« fragte Roland.
»Ich fürchte nicht.«
»Das haben doch hoffentlich nicht Sie verbockt?«
»Erstaunlicherweise nicht«, sagte Thomas und nahm sich ein weiteres
Glas Champagner.
»Ah, die schöne Regina«, sagte Roland. Was ein einfaches Kompliment
hätte sein sollen, klang aus seinem Mund anzüglich.
Regina küßte Roland knapp neben den Mund, wie Leute es tun, die ein
bißchen mehr als nur Bekannte sind. Sie sah Thomas strahlend an – das
gemeinsame Geheimnis war, wie es schien, noch gehütet worden.
»Die Sache mit Kennedy ist eine Schande«, sagte Regina anteilnehmend
zu Thomas. Ihre Röte hatte sich auf die Vertiefung zwischen ihren Brüsten
verschoben, und es war schwierig, nicht darauf zu starren. Thomas sah, daß
Roland es tat.
»Hast du etwas zu essen bekommen?« fragte Regina fürsorglich, was
sonst nicht ihre Art war. Jetzt konnte sie es sich leisten.
»Mir geht’s gut«, sagte Thomas. Welch ungeheuerliche Lüge. Er war
außer sich. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, daß aufgrund irgendeines
physikalischen Gesetzes, das er nicht kannte, das Gedränge zwischen ihm und
Linda weniger wurde und sie und Peter unweigerlich in seine Richtung geschoben
wurden. Linda trank jetzt Scotch (wie der Marine es zu einem früheren Zeitpunkt
getan hatte). Pur, ohne Eis. Ein halbes Dutzend Gründe, warum Lindas
Zusammentreffen mit Regina Unheil bringen würde, schwirrte ihm durch den Kopf.
»Laßt uns Elaine suchen«, schlug Thomas vor, woraufhin Regina und
Roland ihn verständnislos ansahen, was angesichts des Vorschlags durchaus
gerechtfertigt war. Aber es war schon zu spät. Von Peter getrennt, stand Linda
neben ihnen.
»Hallo«, sagte Regina überrascht. »Sie sind Linda, richtig?«
»Ja. Hallo.« Lindas bloße Arme waren kaum einen Zentimeter von
Thomas’ Ellbogen entfernt.
»Linda, darf ich dir Roland Bowles vorstellen? Er ist Reginas Chef
bei der UNICEF .«
Linda streckte die Hand aus. »Guten Abend.«
Thomas sah, daß es tatsächlich Scotch war. Der sich verheerend
auswirken konnte.
»Thomas und Linda sind zusammen zur High-School gegangen«, sagte
Regina.
»Ach, wirklich«, sagte Roland und taxierte Linda von oben bis unten,
ohne sich auch nur zu bemühen, das zu verbergen. Mein Gott, der Mann war
unerträglich.
»Tatsächlich«, sagte Regina. »Thomas und Linda hatten einen
Autounfall zusammen. Stimmt’s, Thomas?«
Bei der Erwähnung des Autounfalls blieb Thomas einen Moment lang das
Herz stehen. Er war überzeugt, daß es Linda genauso gegangen war.
»Daher hat er die Narbe«, fügte Regina laut
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