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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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schreiend hinzu, um
verstanden zu werden.
    »Ich habe mich schon gefragt, woher sie stammt«, sagte Roland.
    »Es muß schrecklich gewesen sein«, sagte Regina, zuerst Thomas und
dann Linda musternd, und ihre Blicke schossen zwischen den beiden hin und her.
Doch als ihr das freudige Ereignis wieder einfiel, schwand ihr leicht finsterer
Blick. Ihr Gesicht leuchtete bei der Erinnerung auf – so sehr, daß Thomas
überzeugt war, sie würde gleich damit herausplatzen.
    »Ich erinnere mich kaum noch daran«, sagte Linda. Das Glas mit dem
Scotch war fast leer.
    Ganz so, als wäre im Raum ein kritischer Zustand erreicht worden,
der die Temperatur um sechs oder sieben Grad anhob, fühlte sich Thomas
plötzlich elend und begann, unter seinem weißen Hemd und grauen Anzug zu
schwitzen. Auch Linda standen Schweißperlen auf der Oberlippe, ein zartes
Bärtchen, das er gern abgeleckt hätte. Und mit dem vermeintlichen Anstieg der
Raumtemperatur stieg auch seine emotionale Temperatur, die alle Empfindungen
verstärkte, so daß er beim Anblick von Regina ein so heftiges Gefühl der Enge
verspürte, daß er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Und er fragte sich, was
er sich noch nie gefragt hatte: Ob er Regina nicht eigentlich haßte, und den
blasierten Roland gleich mit. Roland, der Urteile fällte und jetzt etwas über
Kingsley Amis sagte. Ob Thomas ihn kenne, er sei nämlich ein Nachbar eines
Cousins und so fort. Und Thomas fragte sich, ob er den jungenhaft hübschen
Peter nicht auch haßte, weil er mit der Frau schlief, die er liebte, der Frau,
mit der er zusammensein sollte. Und die Luft war von dem plötzlichen
Temperaturanstieg so schlecht geworden, daß er fast das Gefühl hatte, Linda
ebenfalls zu hassen, weil sie zu spät wieder in sein Leben getreten war und
alte Emotionen aufwühlte, die man besser hätte ruhen lassen sollen.
    Er wandte sich von der Gruppe ab und bahnte sich einen Weg, vorbei
an Frauen mit rückenfreien Kleidern und Männern mit dicken Nacken, nahm
beiläufig wahr, daß sein Name gerufen wurde, aber er ignorierte es und ging an
einer Inderin, die in einen seidenen Sari gehüllt war, und an einem Franzosen
vorbei (es konnte sich nur um einen Franzosen handeln bei dem Mund) und hörte
im Gehen – oder bildete er es sich nur ein? – eine im Streit laut erhobene
Stimme, ein wütendes Fauchen irgendwo tief in der Menge. Es war das Wetter, wie
er wußte, die bedrückende Dürre und der Sand, der die Haut wundscheuerte, die
Kiefer anspannte und Ausbrüche provozierte, die ansonsten nicht denkbar gewesen
wären. Er erreichte einen Tisch, an den er sich lehnte, weil er nicht wußte,
wohin er sonst gehen sollte, und rauchte eine Zigarette, der Gesellschaft den
Rücken zugekehrt.
    Er hörte seinen Namen und drehte sich um.
    »Los, komm mit«, sagte Linda, streckte die Hand aus und berührte
ihn.
    Er marschierte los, nicht blindlings, denn er wußte, daß er nach
einer leeren Ecke suchte, daß er sich zu der Gesellschaft hinbewegte, ohne
jedoch den Ausgang zu finden, und also ging er in einen Korridor, dann in einen
Vorraum und durch eine Tür in ein dunkles Büro. Sie folgte ihm, für jeden
sichtbar, der es sehen wollte, aber er war so glücklich, daß sie bei ihm war,
daß er glaubte, das Herz würde ihm zerspringen.
    Sie glitt in den Raum und schloß die Tür hinter sich ab.
    Er wußte, daß sie betrunken war, aber er konnte nicht anders. Es
wäre vielleicht das letzte Mal – es war das letzte
Mal –, daß sie zusammensein konnten. Der Augenblick war auf doppelte Weise
gestohlen, als bediente man sich eines fremden Kontos, das obendrein überzogen
war. Und weit entfernt, dies für unehrenhaft zu halten, empfand er es als Gnade,
daß sie davon keine Ahnung hatte. Sein eigener Kummer reichte für sie beide.
    In der Dunkelheit fand er ihren Mund und ihr Haar, küßte ihre
Lippen, löste ihr Haar, vergrub seine Hände darin. Er konnte ihr Gesicht kaum
erkennen, weil nur wenig Licht von einer Straßenlampe vor dem Fenster kam. Er
spürte, wie sie bebte, sie war leidenschaftlicher, als er sie in Erinnerung
hatte – erfahrener –, und sie war genauso begierig
wie er, ihre Kleider abzuwerfen. Sie zerrten an Stoff, traten darauf und hatten
keine Zeit für Knöpfe. Sie zog die Schuhe aus und war plötzlich kleiner, fühlte
sich geschmeidiger an, und eine Weile lehnten sie gegen eine Wand, dann über
einen Ledersessel. Sie glitten oder knieten sich auf den Teppich zwischen dem
Sessel und einem Tisch, und eine

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