Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
rühren. Welch bittere Ironie. Hatte er nicht gerade gesagt,
daß er den ehrbaren und mutigen Weg gehen wollte? Das war jetzt undenkbar.
Unmöglich. Ehre und Mut waren mit einem Schlag bedeutungslos geworden.
Regina kam aus dem Badezimmer. Seine Starre und sein halb
zugeknöpftes Hemd schüchterten sie ein, ohne sie zu verärgern. »Mein Gott«,
sagte sie. »Du bist ja wirklich überwältigt.«
Sie strahlte. Sie trug ein einfaches schwarzes Kleid mit schmalen
Trägern. Ihre Brüste waren seltsam hochgeschoben, so daß die glatten weißen
Hügel zum Vorschein kamen. Die üppige Regina, die jetzt noch üppiger werden
würde. Mit seinem Kind.
»Wie sehe ich aus?« fragte sie und drehte sich glücklich im Kreis.
Sie kamen zu spät. Auf peinliche Weise zu spät, aber
Peinlichkeiten gehörten zu seinem anderen Leben. Sie gingen die Treppe hinauf
und mischten sich unter die Gäste. Die Lautstärke der Stimmen hatte das übliche
Maß bereits überschritten. Der Empfang schien in einer Reihe von Räumen
stattzufinden, die wie in einem Museum einer in den nächsten übergingen – in
den einen gab es Drinks, in den anderen Speisen. Weißgekleidete Kellner, diplomatischerweise
keine Afrikaner, gingen mit Silbertabletts von Raum zu Raum. Leute wandten sich
nach Regina um, was sonst nicht der Fall war. Ein nicht zu übersehendes
Strahlen ging von ihr aus. Er mußte Linda finden, bevor Regina herumzuprahlen
begann. Er hielt nach blondem Haar und einem Kreuz Ausschau und fand mehr
Blondhaar, als von Natur aus möglich war, aber kein Kreuz. Wie heillos die
Umstände auch waren, er wünschte sich nichts sehnlicher, als Linda zu sehen –
wenigstens einen Blick von ihr zu erhaschen –, auch wenn dies seine Begierde
nur noch mehr anfachen würde. Er war überrascht, wie weh diese Rückkehr ins
Leben tat. Seine tauben Glieder hatten den Schmerz gespeichert.
Thomas fand Linda nicht, aber dafür seinen Marine. Der Mann sah,
ganz entgegen seiner Art, vollkommen verzweifelt aus. Ein geschlagener Marine
war ein trauriger Anblick. Man stellte die Damen vor, und Regina überragte eine
mausgraue Frau in einem königsblauen Kostüm.
»Ihr Junge ist nicht da«, sagte der Botschaftsvertreter.
Thomas, der den Ausdruck ›Ihr Junge‹ zuerst nicht verstand, dachte,
der Mann verwechsle ihn. Dann begriff er plötzlich. »Kennedy?« fragte er.
»Er ist nicht gekommen.« Der Marine nahm einen tiefen Schluck aus
seinem Glas, das offensichtlich puren Scotch enthielt. Ohne Eis. Sein Gesicht
war bleich und hohlwangig.
»Was ist passiert?«
»Terminschwierigkeiten. So heißt es.« Der Marine sprach mit
angespannten Lippen. Er hielt sich tapfer. Seine Frau sah allerdings aus, als
wäre sie schon vor langer Zeit zermalmt worden.
»Ist er im Land?« fragte Thomas.
»Nein«, antwortete der Mann betrübt. »Das ist ja der Punkt.«
Offensichtlich konnte man nur sagen, daß man das bedauere. »Tut mir
leid«, sagte Thomas.
»Es ist Ihre Show«, erwiderte der unglückliche Botschaftsvertreter.
Aus Höflichkeit – aufgrund von Manieren, die ihm vor langer Zeit
eingeimpft worden waren, aber nun bedeutungslos erschienen – blieb Thomas bei
dem Marine stehen; man läßt einen Mann nicht im Stich, der gerade seinen Job
oder einen wichtigen Auftrag verloren hat. Dennoch suchte er währenddessen
unablässig die Menge ab und verletzte die bedeutungslosen Höflichkeitsregeln
durch sporadische Unaufmerksamkeit. Entgegen seiner Erwartung behielt Regina
ihr Geheimnis für sich, und sei es auch nur, weil sie die Frau des Botschaftsvertreters
überhaupt nicht kannte. Thomas hatte sich auf eine Ankündigung eingestellt, die
unvermeidlich auch auf nicht geeignete Ohren träfe. Vielleicht war Regina nur
klug und wartete die Bestätigung des Arztes ab. Schließlich hatte sie schon einmal
in fortgeschrittenem Stadium ein Kind verloren. Oder sie war abergläubisch, ein
Zug, den er bislang noch nicht an ihr festgestellt hatte.
Bei der ersten Möglichkeit entschuldigte sich Thomas bei dem
verzweifelten Botschaftsvertreter (Regina blieb, die Gattin und sie hatten
offensichtlich Gemeinsamkeiten entdeckt) und machte sich auf eine
entschlossenere Suche nach Linda. Obwohl keine strenge Abendkleidung gefordert
war, sah man viele lange Roben und dunkle Anzüge. Er sah seinen Chefredakteur
in einiger Entfernung und hätte sich vielleicht durch die Menge zu ihm
gekämpft, da er zu den wenigen interessanten Personen gehörte, die er kannte.
Aber Thomas hatte Wichtigeres zu tun
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