Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
und winkte ihm nur zu. Er entdeckte
Roland, der ihn gottlob nicht bemerkte, sowie einen Journalisten, den er
irgendwoher kannte – von der Universität oder vom Thorn Tree. Männer und Frauen
schienen in Gespräche verstrickt zu sein, die lautes Schreien nötig machten.
Thomas nahm ein Glas Champagner von einem Silbertablett; er vermutete, daß es
sich bei den Kellnern um Marines handelte. War das möglich? Einen Moment lang
überlegte er, ob es Spione waren, ein Gedanke, den er kurz darauf wieder
verwarf, als er sich klarmachte, daß hier wenig auszuspionieren war. Aber er
konnte Linda nicht finden. Von der Mitte des Raums winkte ihm Mary Ndegwa zu.
Thomas fühlte sich unwillkürlich in ihre Nähe gezogen, wie sich ein Untertan zu
einem Angehörigen des königlichen Hauses hingezogen fühlen mag. Sie hielt Hof
in einem goldenen Turban und einem Kaftan der gleichen Farbe, und er mußte an
Weihrauch und Myrrhe denken. Thomas konnte sich des Gedankens nicht erwehren,
daß Ndegwas Haft Mary befreit hatte. Sie befreit hatte, um möglicherweise das
zu werden, was sie ihrem Wesen nach schon immer war: eine Herrscherin mit einem
Gefolge. Was die Frage aufwarf: Was würde geschehen, wenn Ndegwa wieder
freigelassen würde?
    »Mr.Thomas«, sagte sie. »Sie sehen heute abend blendend aus.«
    Die Macht hatte sie kokett werden lassen. »Neben Ihnen verblaßt
jeder«, antwortete er, wie es von ihm erwartet wurde.
    »Ich hatte gehofft, Ihre Frau kennenzulernen.«
    »Sie muß hier irgendwo sein«, antwortete Thomas und blickte suchend
umher.
    »Ich bringe sie zu Ihnen.«
    »Ich habe Ihnen schon gedankt, daß Sie dies hier ermöglicht haben«,
sagte sie. »Aber darf ich mir erlauben, Ihnen noch einmal zu danken?«
    »Das ist nicht nötig«, sagte Thomas und machte eine abwehrende
Handbewegung. »Tatsächlich hatte ich wenig damit zu tun.«
    »Mr. Kennedy ist nicht gekommen.«
    »Nein, zu meiner Überraschung nicht.«
    »Das spielt keine Rolle.«
    Nein, wahrhaftig nicht, dachte Thomas. Denn jetzt gab es niemanden,
der ihr ebenbürtig gewesen wäre, obwohl angeblich auch ein oder zwei
Parlamentsabgeordnete auf dem Empfang waren.
    »Und wie geht’s Ndegwa«, fragte Thomas.
    »Ich habe Angst um ihn«, antwortete sie, obwohl sie keineswegs
besorgt wirkte.
    »Das Buch verkauft sich gut«, sagte er.
    »Ja. Sehr gut. Eines Tages wird es ebenfalls verboten werden.«
    »Sie scheinen sich da ganz sicher zu sein.«
    »Oh, das bin ich«, sagte sie amüsiert, weil er die offensichtliche
Wahrheit bezweifelte.
    »Tut mir leid, das zu hören.«
    »Mr. Thomas, Sie dürfen uns nicht im Stich lassen«, sagte sie und
berührte seine Schulter.
    Der Appell verblüffte ihn. Er hatte nicht daran gedacht, sie im
Stich zu lassen, tatsächlich hatte er überhaupt nicht an Ndegwa gedacht. Er
suchte nach einer passenden Antwort, aber Mary Ndegwa hatte bereits das
Interesse an ihm verloren und sah über seine Schulter auf eine Frau, eine
italienische Journalistin, die Thomas flüchtig kannte. Er wurde auf abrupte
Weise verabschiedet, beinahe fallengelassen.
    Er schob sich an den Rand der Party und wollte nach draußen gehen,
um eine Zigarette zu rauchen, obwohl die Räume bereits mit Rauch geschwängert
waren und er sich die Mühe nicht hätte machen müssen. Er wollte nach Linda
Ausschau halten und war jetzt besorgt, daß sie vielleicht doch nicht gekommen
wäre. Müßte er dann morgen zum Norfolk gehen, um ihr zu sagen, daß seine Frau
schwanger war? Das war genauso unvorstellbar wie der Gedanke, daß die Erde ihre
Umlaufbahn änderte.
    Oben an der Treppe lehnte er sich an eine Wand und rauchte. Es
trafen Nachzügler ein und weitere Gäste, die sich pompöse Auftritte
verschafften. Es war fast acht Uhr, und die Leute würden den Empfang bald
verlassen, um zum Abendessen zu gehen. Marines standen am Fuß der Treppe Wache
und bildeten eine Art Ehrenspalier. Er sah sie, noch bevor sie die Straße
überquert hatte. Der Mann neben ihr blickte nach rechts auf den Verkehr, er
hatte die Hand an ihren Rücken gelegt und schob sie leicht voran, als er es für
sicher hielt, die Straße zu überqueren. Sie trug einen Schal um die Schultern,
den sie über der Taille zusammenhielt, und ihr Anblick entsprach so genau
demjenigen damals vor Petley’s, daß er zu träumen meinte. Bevor sie ihn sah,
durchlebte er wieder die süße Mischung aus Freude und Schmerz, die er auch vor
Petley’s empfunden hatte. Während sie die Straße überquerte, am Schluß ein
wenig rennend (ein

Weitere Kostenlose Bücher