Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
es Peter sagen, der in seiner Vorstellung den
Eindruck machte, als würde er die Nachricht mit Würde aufnehmen, sie vielleicht
auf seine jungenhafte Art einfach mit einem Achselzucken abtun. Worauf wartete
Thomas? Auf einen Moment, in dem Regina stark genug erschien, um es, ohne daran
zu zerbrechen, ohne in kreischende Hysterieanfälle zu verfallen, hinzunehmen?
Ein Moment, der wahrscheinlich nie eintreten würde, trotz ihres neuerdings so
forschen Auftretens. Obwohl Menschen nicht wirklich zerbrachen, sich nicht
tatsächlich in ihre Bestandteile auflösten. Sie überlebten. Sie sagten sich
irgendwann, daß es besser so war, oder etwa nicht?
    Er knöpfte sein Hemd zu, als er Reginas Wagen über den
Ziegelschotter neben dem Haus fahren hörte. Er stellte sich auf Panik ein, auf
endlose Jammereien, daß sie in einen schrecklichen Verkehrsstau gekommen sei.
Die Straße hätte sich förmlich in nichts aufgelöst, würde sie sagen, weil es
auf der A 1 einen Sandsturm gegeben habe.
    Aber so lautete ihre Neuigkeit nicht.
    »Ich bin schwanger«, sagte seine Frau schon an der Tür, hochrot und
strahlend, als wäre sie den ganzen Weg gerannt, um ihm die freudige Nachricht
zu verkünden. Sie sah schön aus, die aufgeregte Eröffnung der Neuigkeit verlieh
ihr eine Farbe und Fröhlichkeit, die er buchstäblich seit Jahren nicht mehr an
ihr gesehen hatte. »Das endgültige Ergebnis steht erst am Freitag fest, aber
Dr. Wagmari glaubt, daß ich im dritten Monat bin.«
    Thomas war wie erstarrt.
    Die Flutwelle, die auf den Riß im Universum folgte, entleerte das
Reservoir, das er bis zu diesem Augenblick für sein Leben, sein innerstes
Wesen, seine Seele gehalten hatte, obwohl er sich, was die Existenz der Seele
anbelangte, bis zu diesem Moment nicht absolut sicher gewesen war. Der Verlust,
die physische Empfindung des Verlusts, war verheerend und umfassend. Und
seltsam tröstlich, wie ein wirklich trauriger Gedanke. Er konnte sich weder bewegen
noch sprechen, obwohl er wußte, daß nichts zu sagen unverzeihlich wäre, ihm nie
vergeben werden würde. Und in der Stille spürte er, wie ein Schrei in ihm
anhob, eine stumme Klage, die durch ihn hindurchging und das tröstliche Gefühl
auslöschte. Sein Leben war vorbei. So einfach war das. Obwohl ein neues Leben
begann.
    »Was ist los mit dir?« fragte Regina, vielleicht weil sie ein fernes
Echo des stummen Schreis gehört hatte. »Du stehst einfach bloß da.«
    »Ich bin …« Er fand keine Worte. Um sich zu retten, schaltete sein
System Teil für Teil ab.
    »Du bist überwältigt«, sagte sie.
    Noch immer konnte er sich nicht bewegen. Sich zu bewegen hieße, mit
dem anderen Leben weiterzumachen, dem einzigen, das er jetzt noch hatte. Wie
gräßlich, daß es gerade eine so freudige Nachricht war, die so großen Schmerz
verursachte. »Ja«, stieß er hervor.
    Das war offensichtlich ausreichend. Regina ging auf ihn zu, um ihn
zu umarmen. Er war wie versteinert, und seine hilflos herunterhängenden Arme
brachten so etwas wie eine Umarmung fertig.
    »Ach, ich bin auch überwältigt!« rief sie. »Ich wollte es nicht
glauben. O Gott, ist es nicht wunderbar?«
    Ohne ein Signal aus dem Gehirn bekommen zu haben, tätschelte seine
Hand ihren Rücken.
    »Das ist es, was wir uns immer gewünscht haben«, sagte sie, vergrub
das Gesicht an seiner Schulter und begann zu schluchzen.
    Auch er spürte Tränen auf seinen Unterlidern, was ihn entsetzte, und
er versuchte, sie wegzublinzeln. Sie kamen ihm unecht und unangebracht vor.
Obwohl auch sie mißdeutet und als Ausdruck der Freude verstanden werden würden.
    Sie machte sich von ihm los, dachte an die kurze Zeit, die ihr nur
noch blieb, und war bereits in ein neues Leben eingetaucht.
    »Ich bin so spät dran«, krähte sie fröhlich.
    Er saß in Unterwäsche und Socken auf dem Bett, sein Hemd war
immer noch nicht zugeknöpft, weil die Naturkatastrophe ihn überrascht hatte,
ganz ähnlich wie die Frauen in Pompeji, die man mit Kochtöpfen in der Hand
gefunden hatte. Gelegentlich schwirrten ihm Halbsätze durch den Kopf, und der
Rest war eine neblige weiße Leere. ›Ich muß sie warnen‹ und ›Wenn ich nur
nicht‹. In lichteren Momenten versuchte er nachzurechnen, wie alle Männer dies
tun: ›Die Nacht nach Rolands Party.‹ Sie hatten der biologischen Uhr gehorcht,
und er und Regina waren mit einem Kind belohnt worden. Doch dann zogen die
Nebel wieder auf, sie hüllten sein ganzes Denken ein, und er wünschte sich, er
müßte sich nie mehr

Weitere Kostenlose Bücher