Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
schmutzige Windeln. Bald kann Linda von der Wäsche auf die
Geschichte der Familien schließen. Die Overalls und Cordsamthemden von Männern
und Knaben erzählen von einem Haushalt ohne Mutter. Die bei Geburten befleckten
Laken sprechen für sich selbst. Boxershorts mit harten Stellen im Schritt
lassen auf heimliche Freuden schließen, und blutbeschmierte Frauenunterwäsche
sagt ihr nicht mehr, als sie bereits weiß. Schickt ein Haushalt plötzlich keine
Strampelhosen mehr, denkt man an eine Tragödie, die Schweigen gebietet.
Die Hände der Mädchen sind immer rot, die Schädigung ist zu tief
in die Haut eingedrungen, um mit Salben behoben zu werden. Jahrelang werden sie
rissig bleiben, sagen die Nonnen ständig, und sie an ihr Schicksal erinnern,
als hätte man es geplant. Die Hände werden jahrelang ihr Schandmal bleiben.
Gutes Wetter fürs Wäschetrocknen. Der
Satz ist wie ein Weckruf. Die feuchte Wäsche, die im Keller nie richtig
trocknet, wird draußen mit Holzklammern an Leinen befestigt, wo sie sich im
Wind bläht und nach Sonne riecht, wenn sie später in Weidenkörben nach drinnen
getragen wird.
Wenn sie aus der Schule kommt und um die Ecke biegt, sieht Linda die
Wäsche an der Leine: Unmengen weißer und bunter Wäschestücke, die im Wind
flattern. Der Anblick ist atemberaubend und erinnert an Felder mit frischen
Blumen, an eine Ernte von seltsamem Zauber. Die blutigen Laken sind rein, der
Wehenschmerz ist vergessen, die Flecken der Lust sind fortgespült. Hemden
füllen sich mit Luft und werden aufgebauscht, als steckten Körper darin.
Overalls strecken kräftige Beine aus, und Nachthemden fächeln anmutig in der
Brise. Laken blähen sich auf und knattern, als hätten sie ein eigenes Leben und
trotzten sowohl ihren Besitzern wie den Mädchen.
Das Haus heißt Magdalena wie alle Einrichtungen, die ungeratene
Mädchen wegen begangener oder vermuteter Sünden aufnehmen. Es scheint wenig
Unterschied zu machen: Die Eltern haben sie eingeliefert und bezahlen. Linda
Fallons Rechnungen werden vom Versicherungsgeld beglichen, das anderweitig
nicht verwendet werden darf.
Gelegentlich bezeichnet eine der Nonnen das Heim als Internat für
junge katholische Frauen, aber davon läßt sich niemand hinters Licht führen.
Manchmal läuft eines der Mädchen weg, und wer weiß schon, wohin
es gegangen ist? Andere Mädchen bekommen Kinder, und die Babys werden ihnen
weggenommen. Manchmal – wenn auch selten – wird ein Mädchen, das die Wäsche
einer Familie gewaschen und ausgeliefert hat, von dieser gebeten, bei ihr zu
wohnen.
Linda ist nichts dergleichen widerfahren.
Sie hat auch gar keine Lust wegzulaufen. Sie sieht keinen Zweck
darin. Sie erträgt die Schule, aber ihr gefällt der Anblick der Wäsche an der
Leine. Sie hat gelernt, sich auf das Rauschen der Brandung, die vordere Veranda
und eine Nonne zu verlassen, die nett ist und sich mit ihr angefreundet hat.
Am Anfang bekommt sie Briefe von ihrer Tante. Schmucklose
Schreiben mit Neuigkeiten, bloße Nachrichten, die den Eindruck erwecken sollen,
daß eigentlich nichts Ernstes passiert sei. Einen Monat vor Lindas siebzehntem
Geburtstag trifft jedoch eine andere Art von Brief in dem Heim für
gestrauchelte Mädchen ein. Linda soll nach Hause kommen. Linda Fallon soll das
Heim verlassen. Sie protestiert bei den Nonnen, sagt, daß sie kein Zuhause
habe, daß sie dort eine Fremde sein werde, daß sie nur noch knapp ein Jahr
brauche, um den Abschluß an der katholischen Mädchenschule zu machen. Die
Schwestern sehen sie einfach an.
Du mußt gehen, sagen sie und sehen in ihren Büchern nach. Das Geld
ist alle.
Linda hat nur vage Erinnerungen an ihre Mutter und keine realen
an ihren Vater. Ihre Mutter, dessen ist sie sicher, hatte langes brünettes, in
Wellen gelegtes Haar. Wenn sie lachte, hielt sie die Hand vor den Mund. Sie
trug schmale Wollkleider mit straßbesetzten Ausschnitten oder einen Pelzmantel
und hielt die Hand eines kleinen Kindes fest, wenn sie zusammen die Straße
entlanggingen. Sie hatte wundervoll geformte Pumps und winzige Füße.
Auf den Fotos wirkt ihr Vater groß, er hat dünnes rotes Haar und
gleicht trotz seiner schiefen Zähne auf eine blutleere Weise einem Filmstar.
Leslie Howard etwa. Auf den Fotos trägt ihr Vater immer einen Filzhut und
lächelt.
In den Schlafzimmern im oberen Stockwerk des Heims für
gestrauchelte Mädchen weint Linda mit den anderen im Haus lebenden Mädchen.
Hysterisch, wie Teenager es angesichts von Katastrophen
Weitere Kostenlose Bücher