Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
zur Bar. Sie bat um ein Glas Wein und ahnte schon, daß die Qualität
des Chardonnay es nicht mit der des rosafarbenen Krönungsteppichs und den fast
mannshohen Blumensträußen aufnehmen konnte, womit sie nicht unrecht hatte.
Ihr Name wurde genannt, und als Linda sich umdrehte, streckte ihr
eine Frau in einem irisfarbenen Wollkostüm die Hand entgegen. Es war angenehm,
eine Frau zu sehen, die kein Schwarz trug, wie es heutzutage üblich war, wenn
man nicht als provinziell gelten wollte. Sie schüttelte die ausgestreckte Hand,
ihre eigene war vom Weinglas naß und kalt.
»Ich bin Susan Sefton, eine der Organisatorinnen des Festivals. Ich
schätze Ihre Gedichte sehr und möchte Ihnen danken, daß Sie gekommen sind.«
»Oh. Danke«, sagte Linda. »Ich freue mich«, log sie.
Die Frau hatte schiefe Zähne, aber hübsche grüne Augen. Verdiente
sie sich mit dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt?
»In etwa einer halben Stunde treffen wir uns vor dem Hotel, wo ein
Bus wartet, um uns in ein Restaurant namens Le Matin zu bringen. Es ist ein
Bistro. Mögen Sie französisches Essen?«
Linda wußte nicht recht, was sie antworten sollte, und nickte nur.
Die Tatsache, zum Essen gefahren zu werden, ließ sie an Senioren denken, eine
Vorstellung, die sich verfestigte, als man ihr kurz darauf mitteilte, daß das
Essen wegen der verschiedenen Vortragstermine frühzeitig stattfände.
»Und danach wird jeder Autor zu seinem Vortragsort gebracht. Wir
haben vier verschiedene Vortragsorte.« Sie sah in einem Plastikordner mit
bunten Karteireitern nach. »Sie sind in der Red Wing Hall und lesen um 21 Uhr 30.«
›Was mir eine geringe Zuhörerzahl garantiert‹, dachte Linda, sagte
aber nichts. Die meisten Leute, die ein Festival besuchten – Autoren
eingeschlossen –, würden um diese Zeit nach Hause gehen.
»Kennen Sie Robert Seizek?«
Der Name war ihr entfernt bekannt, obwohl sich Linda weder an einen
Buchtitel noch an ein Genre erinnern konnte. Sie machte eine Kopfbewegung, die
als Nicken gedeutet werden konnte.
»Sie beide werden sich das Podium teilen.«
Linda spürte die Herabsetzung, die diese Teilung beinhaltete, das
Gefühl, als Unterhaltung nur die Hälfte wert zu sein.
»Es stand im Programm.« Die Frau wirkte abwehrend, vielleicht als
Reaktion auf den vorwurfsvollen Blick. »Haben Sie Ihre Unterlagen nicht
bekommen?«
Linda hatte sie bekommen, was sie jetzt aber kaum zugeben konnte, da
es schrecklich unhöflich war, nicht hineingesehen zu haben.
»Ich werde Ihnen welche besorgen.« Die schiefen Zähne waren nicht
mehr zu sehen, das Lächeln war verschwunden. Linda war nur noch eine von vielen
launischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen, um die Susan Sefton sich
kümmern mußte, und die meisten waren zu schlampig und zu egozentrisch, um das
zu tun, was man von ihnen erwartete. Sie blickte auf Lindas Brust.
»Sie müssen bei allen Veranstaltungen den Anstecker tragen. Er ist
in dem Paket mit den Unterlagen.« Eine Anordnung, gegen die die Schriftsteller
sicher rebellieren würden, dachte Linda und sah sich in dem Raum mit den vielen
in Plastik eingeschweißten weißen Ansteckern um, die an Revers und Blusen
prangten. »Haben Sie Robert schon kennengelernt? Ich werde Sie bekannt machen«,
fügte Susan Sefton hinzu, ohne auf eine Antwort zu warten.
Die Frau im irisfarbenen Kostüm unterbrach eine Unterhaltung
zwischen drei Männern, von denen keiner die Unterbrechung zu brauchen oder zu
wollen schien. Das Gespräch drehte sich um Computer (das hätte sich Linda denken
können) und Technologie-Aktien, deren Kauf sich gelohnt hätte, wenn man
Bescheid gewußt hätte. Seizek hatte einen großen, fast löwenhaften Kopf und
einen riesigen Körper, der von den verschiedensten Gelüsten kündete. Eines
davon machte sich in seiner Alkoholfahne und einem leichten Schwanken
bemerkbar, als stünde er, im Gegensatz zu den anderen, auf einer kreiselnden
Fläche. Wahrscheinlich würde sie schließlich doch allein auf der Bühne stehen.
Einer der beiden anderen Autoren sprach mit stark australischem Akzent, der
sich angenehm anhörte, und Linda schloß daraus (als schaltete sie sich in ein
laufendes Radioprogramm ein), daß er der Romancier war, über den erst letzten
Sonntag in einem wichtigen Literaturblatt geschrieben stand, seine Prosa sei
»leuchtend und einnehmend«, seine Einsichten seien »brillant und treffend«.
(Ein Roman über einen australischen Wissenschaftler? Sie versuchte, sich zu
erinnern. Nein, über
Weitere Kostenlose Bücher