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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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ihr tatsächlich zu Bewußtsein kam, ganz so, als habe jemand die
Lautstärke um ein oder zwei Stufen heruntergedreht. Aus der Ecke hörte sie
einen geflüsterten Namen. Das war doch nicht möglich, dachte sie, selbst als
sie realisierte, daß es doch so war. Sie drehte sich um, damit sie den Grund
des ehrfurchtsvollen Schweigens betrachten konnte.
    Er stand in der Tür, als würde ihn das Unbekannte blenden. Als müßte
er nach einer Verletzung den passenden Schlüssel zur Realität wiederfinden:
Gruppen von Männern und Frauen mit Drinks in den Händen, ein Raum, der vorgab,
etwas zu sein, was er nicht war, Gesichter, die vielleicht vertraut oder fremd
waren. Sein Haar war jetzt silbern, der ganze dichte Schopf, und schlecht
geschnitten, tatsächlich grauenvoll schlecht geschnitten, zu lang an den Seiten
und im Nacken. Wie sehr er dies hier hassen würde, dachte sie, bereits Partei
für ihn ergreifend. Sein Gesicht war tief zerfurcht, aber man konnte nicht
sagen, daß er unattraktiv war. Die blauen Augen waren sanft, und er blinzelte,
als wäre er aus einem dunklen Raum hereingetreten. Eine Narbe, eine alte Narbe,
die genauso zu ihm zu gehören schien wie sein Mund, verlief über die ganze
linke Wange. Er wurde begrüßt wie ein Mann, der lange im Koma gelegen hat; wie
ein König, der jahrelang im Exil war.
    Sie wandte sich ab, weil sie nicht die erste Person sein wollte, die
er im Raum wahrnahm.
    Andere begrüßten ihn jetzt, eine Wolke stiller, aber angespannter
Aufmerksamkeit schien ihn zu umgeben. War dies sein erster öffentlicher
Auftritt nach dem Unfall, der ihn bewogen hatte, sich von der Welt zurückzuziehen?
Möglich, durchaus möglich. Mit dem Teller in der Hand stand sie bewegungslos da
und atmete mit knappen, kontrollierten Zügen. Langsam hob sie die Hand zum Haar
und strich eine Strähne hinters Ohr. Vorsichtig rieb sie sich mit dem Finger
die Schläfe. Sie nahm einen Cracker und versuchte, ihn mit dem bröckeligen Käse
zu bestreichen, aber der Cracker brach auseinander und zerbröselte zwischen
ihren Fingern. Sie warf einen prüfenden Blick auf eine Schale mit Erdbeeren und
Trauben, letztere waren schon leicht bräunlich.
    Etwas zu devot sagte jemand: »Ich werde Ihnen einen Drink holen.«
Ein anderer krächzte: »Ich freue mich so sehr.« Und wieder andere murmelten:
»Sie wissen gar nicht …« und: »Ich bin so …«
    Es bedeutete nichts, sagte sie sich, als sie nach einem Glas Wasser
griff. Jahre waren vergangen, und das ganze Leben hatte sich inzwischen
verändert.
    Sie spürte, wie er auf sie zukam. Wie entsetzlich, daß sie sich nach
der langen Zeit vor Fremden begrüßen mußten.
    Er sagte ihren Namen, ihren so gewöhnlichen Namen.
    »Hallo, Thomas«, sagte sie im Umdrehen, sein Name war genauso
gewöhnlich wie ihrer, aber seinem haftete die Bedeutung von Geschichte an.
    Er trug ein elfenbeinfarbenes Hemd und einen marineblauen Blazer,
dessen Schnitt schon lange aus der Mode war. Um die Mitte wirkte er fülliger,
was vielleicht zu erwarten war, aber wenn man ihn ansah, dachte man dennoch:
ein großer Mann, ein schlanker Mann. Sein Haar fiel in die Stirn, und er strich
es mit einer Geste fort, die ihr seit Jahren vertraut war.
    Er trat auf sie zu und küßte sie auf den Mundwinkel. Zu spät hob sie
ihre Hand, um seinen Arm zu berühren, denn er hatte sich schon zurückgezogen,
und ihre Hand hielt mitten in der Bewegung inne.
    Das Alter hatte ihn gezeichnet. Sie beobachtete, wie er sie
betrachtete, sie, die das Alter offensichtlich nicht weniger gezeichnet hatte.
Dachte er: ›Ihr Haar ist strohig, aber ihr Gesicht ist nicht alt geworden?‹
    »Das ist sehr seltsam«, sagte er.
    »Man wundert sich bereits über uns.«
    »Es ist tröstlich, sich vorzustellen, daß wir für eine Geschichte
herhalten.«
    Seine Hände schienen nicht zu ihm zu gehören; es waren blasse,
weiche Schriftstellerhände mit einem Hauch von Tinte, die sich für immer in den
Falten des Mittelfingers der rechten Hand festgesetzt hatte. »Ich habe deine
Karriere verfolgt«, sagte er.
    »Soweit es eine gegeben hat.«
    »Du hast dich gut gemacht.«
    »Erst in letzter Zeit.«
    Die anderen traten allmählich zurück. Es erhöhte ihren Status, daß
er sie kannte, ganz ähnlich, wie die gute Kritik den australischen
Schriftsteller auszeichnete. Ein Drink wurde Thomas gereicht, der ihn dankend
annahm, aber er enttäuschte den Spender, der auf eine Unterhaltung gehofft
hatte.
    »Ich habe so was seit Jahren nicht mehr gemacht«,

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