Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
als trüge er Windeln. Sein Haar war schmutzig, mit
verschiedenfarbigen Fusseln durchsetzt. Er blieb vor Thomas stehen – dem
Amerikaner, dem leichten Opfer. Thomas leerte seine Taschen in einen Beutel,
den der Mann um den Hals trug.
Er mußte Regina finden.
Er ging am Hotel Gloria vorbei, wo er und Regina die erste Nacht im
Land verbracht hatten, ohne zu bemerken, daß es ein Bordell war. Das
Waschbecken war mit braunem Zeug verstopft, das er nicht näher untersuchen
wollte, und als sie aufwachten, waren sie mit Fliegen bedeckt. Jetzt ging eine
Frau an ihm vorbei, die ein Kind auf dem Rücken trug, dessen Augen voller
schwarzer Fliegen waren. Thomas brauchte einen Schluck Wasser. Die Farben kamen
ihm jetzt intensiver und greller vor; die Geräusche lauter und gellender als
eine Stunde zuvor. Er erinnerte sich an das erste Mal, als er eine lange
Kolonne roter glänzender Ameisen gesehen und zu spät bemerkt hatte, daß sie an
seinem Bein hinaufkrochen. In Gil Gil hatte eine nackte Frau bewegungslos auf dem
Asphalt im Hof gelegen. Nackte Männer hingen an vergitterten Fenstern. Sie
hatten ihm auf die Füße gespuckt. Warum waren so viele Menschen ohne Kleider in
diesem Land? Die Sicht seines rechten Auges wurde von Hunderten heller, sich
bewegender Punkte getrübt. Keine Migräne, dachte er – bitte, nicht jetzt. SCHULMÄDCHEN STIRBT NACH BESCHNEIDUNG . Er erinnerte sich
an den Nachtexpreß nach Mombasa, an den sexuell erregenden Rhythmus der Räder.
Er und Regina hatten sich eine enge Koje geteilt, und es war eine zärtliche
Nacht zwischen ihnen gewesen, eine Art Waffenstillstand. Er hatte Maurice von E.M. Forster gelesen. Wo hatte er das Buch
gelassen? Kenianer haßten Homosexuelle, erwähnten sie nie, als existierten sie
nicht. Rich würde kommen, und er würde ihm das Kraut zum Kauen geben. Was hatte
seine Mutter geschrieben? Die Gasleitungen seien kaputt? DREI
AMERIKANER ENTHAUPTET . Ob der Wagen noch da war? Oder hatte er nicht
genügend bezahlt? Töpfe und Kleider wurden auf der Straße verkauft. Im
Schaufenster eines Kaufhauses wurden Artikel von Cuisineart angeboten. Regina
würde inzwischen ernstlich besorgt sein. Gestern hatte er im Norfolk
überbackene Käseschnitten gegessen, deren Geschmack noch immer auf seiner Zunge
lag. In Wirklichkeit jedoch schmeckte er das Tusker. Worte. Sie verfolgten ihn
in der Nacht. Einmal waren zwanzig Löwen an ihm vorbeispaziert. Er hatte wie
erstarrt neben dem Auto gestanden, nicht einmal fähig, die Tür zu öffnen, um
einzusteigen. Regina hatte drinnen tonlos geschrien. Sie waren nach Keekorok
hinaufgefahren, ohne Batterie und mit vier abgefahrenen Reifen. Der
Schaltknüppel war abgebrochen. Ein anderes Mal, auf einer Safari, als alle das
Lager verlassen hatten, war er zurückgeblieben, um zu schreiben. Er war von
Pavianen angegriffen worden und mußte sie vertreiben, indem er mit einem
Holzlöffel auf einen Blechtopf schlug. ZAUBERDOKTOR WEGEN
BESTECHUNG BEIM RUGBY FESTGENOMMEN. MANN IN ZEBRAFALLE GEFANGEN . Bei
einer Party in der Botschaft hatte ihn eine Frau in weißem Kostüm für einen
Spion gehalten. Die Luft in Karen schmeckte wie Champagner. Sie war sogar
besser als in den Ngong Bergen. Er sehnte sich nach ihrer Kühle, nach ihrem
Grün. Er lehnte den Kopf an die Mauer eines Gebäudes, der Beton war heiß und
rauh, nicht beruhigend. Regina hätte Medikamente in ihrer Tasche. Wenn er nur
in einen ruhigen Raum käme. Ihm fiel eine Höhle ein, in der Tausende von
Fledermäusen an der Decke hingen, Regina sank vor Schreck auf die Knie. Er
flehte sie an, aufzustehen, und schließlich mußte er sie buchstäblich nach
draußen zerren. ›Mir geht’s gut. Mir ist kein Unglück widerfahren.‹ Eine
Floskel, nicht ernst gemeint. Ndegwa hatte aufsehenerregendes Unglück. Oder
schuf er es sich selbst? REGENFÄLLE VERURSACHEN CHAOS.
ARME SEHEN ZU WIE IHRE HÄUSER NIEDERGEWALZT WERDEN. KRANKENWAGEN MIT ELFENBEIN
ENTDECKT . Zunächst wäre Regina wütend, ärgerlich, weil sie hatte warten
müssen. Aber es würde ihr leid tun, wenn sie sähe, daß er Migräne hatte.
Im Markt wartete er, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt
hatten. Der Gestank war jetzt sogar noch schlimmer, und er versuchte, durch den
Mund zu atmen. Die Menschen und die Stände im Markt nahmen Gestalt an wie Fotos
im Entwicklerbad. Er sah eine Frau in einem Kanga, das Tuch war straff um die
Hüften geschlungen. Sie hatte einen hübschen festen Hintern. Ndegwa hatte den
Afrikanerinnen nachgesehen,
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