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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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abgefüllt, anders als das Wasser in ihrem Haus. Vorhin,
durstig wie sie war, hatte sie fast einen ganzen Krug ausgetrunken.
    »Mußt du deswegen morgen zurückfahren?« fragte er, obwohl er nicht
hätte fragen müssen. Die Antwort würde ihn in jedem Fall verletzen, da die
einzig akzeptable Antwort darin bestünde, daß sie ihn nie mehr verlassen würde.
    Aber sie, die in dieser Hinsicht vielleicht klüger war als er, oder
die Zukunft klarer vor sich sah, sagte nichts. Sie selbst stellte keine Fragen.
Ihr Haar, das sich gelöst hatte, als sie miteinander schliefen, war wieder zu
einem Knoten geschlungen, und an der Nachlässigkeit des hastig geschlungenen
Knotens erkannte er, wie sorgfältig sie sich auf ihr Wiedersehen vorbereitet
hatte.
    »Daran ist nichts zu ändern«, sagte sie.
    Eifersucht schnürte ihm die Brust zusammen. »Hast du letzte Nacht
mit ihm geschlafen?« fragte er, und die Frage schockierte ihn selbst. Sie verschränkte
die Arme über dem weißen Leinenkleid. Eine abwehrende Haltung.
    »Thomas, nicht.«
    »Nein, ehrlich«, sagte er, unfähig, aufzugeben, was selbst ein Narr
hätte auf sich beruhen lassen. »Hast du letzte Nacht mit ihm geschlafen? Ich
möchte es bloß wissen.«
    »Warum?«
    »Damit ich weiß, woran ich bin«, sagte er. Er zog eine Packung
Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Das Hemd war schweißdurchnäßt von dem
Spaziergang. Ihnen gegenüber saß ein Paar und trank Pimm’s. Er beneidete sie um
ihre Langeweile. »Damit ich weiß, wie die Regeln aussehen«, sagte er.
    Sie sah weg. »Es gibt keine Regeln.«
    »Also hast du mit ihm geschlafen«, sagte Thomas trotzig und starrte
in sein Wasserglas. Aus Scham oder aus Angst vor der Wahrheit, dessen war er
sich nicht sicher. Und weil ihr Körper ihn ablenkte, wie schon den ganzen
Nachmittag. Wegen der Art, wie jetzt ihre Brüste auf ihren Unterarmen ruhten.
    »Es war die einzige Möglichkeit, wie ich es bewerkstelligen konnte«,
sagte sie. Er bemerkte, daß ihre Stirn vor Schweiß glänzte. »Laß uns das nicht
tun, Thomas«, fügte sie hinzu. »Wir haben so wenig Zeit.« Sie löste die Arme,
lehnte sich zurück und legte die Finger an die Stirn.
    »Hast du Kopfschmerzen?« fragte er.
    »Ein bißchen.«
    »Liebst du ihn?«
    Die Frage, die im Hintergrund gelauert hatte, wollte jetzt ans
Tageslicht.
    »Natürlich liebe ich ihn«, sagte sie ungeduldig und hielt dann inne.
»Nicht auf die Art, wie ich dich liebe.«
    »Wie liebst du mich?« fragte er, endlose Versicherung suchend.
    Sie dachte einen Moment nach, zupfte einen Fussel von ihrem Kleid
und wählte sehr sorgfältig ihre Worte. »Ich denke ständig an dich. Ich stelle
mir eine Welt vor, in der wir zusammensein können. Ich bereue es, daß ich dir
nach dem Unfall nicht geschrieben habe. Ich glaube, wir sind füreinander bestimmt.«
    Er holte tief Luft.
    »Reicht das?« fragte sie.
    »O Gott.« Er legte den Kopf in die Hände. Das leicht gelangweilte
Paar mit den Pimm’s hätte glauben können, er sei es, der Kopfschmerzen hatte.
    Sie schob ihre Hand über den Tisch und berührte seinen Arm. Mit
einer schnellen Bewegung ergriff er ihre Hand. »Was wird aus uns?« fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte sie. Vielleicht tat
er ihr weh. »Es ist viel leichter, nicht darüber nachzudenken.«
    Er ließ ihre Hand los. »Wir hätten uns finden können, wenn wir es
wirklich versucht hätten«, sagte er herausfordernd. »Es war nicht gänzlich
unmöglich. Also, warum haben wir es nicht getan?«
    Sie massierte sich mit den Fingern die Schläfe. »Vielleicht wollten
wir nicht kaputtmachen, was wir hatten«, sagte sie.
    Er lehnte sich zurück und drückte die kaum gerauchte Zigarette auf
dem Boden aus. Ja, dachte er. Das mag’s gewesen sein. Aber andererseits, woher
sollten sie das wissen? Er erinnerte sich an ihr Zusammensein – vor dem
Landhaus, im Schnellimbiß, beim Gang durch die leeren Straßen von Boston.
    »Was ist?« fragte sie, als sie sein unpassendes Lächeln bemerkte.
    »Mir fiel gerade wieder ein, daß ich dich gezwungen habe, mir zu
sagen, was du gebeichtet hast.«
    »Das war schrecklich«, sagte sie.
    »Das ist schrecklich«, sagte er.
    Er beobachtete, wie sie trank – die Bewegungen ihres zarten Kinns,
die Kontraktionen ihres schlanken Halses. Hinter ihr lagen der weiße Strand und
der Ozean, der so hell glitzerte, daß man kaum darauf sehen konnte. Palmen wölbten
sich über ihnen, und aus offenen Fenstern wehten Gazevorhänge, um dann wieder
ins

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