Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
Innere gesogen zu werden, als lauere dort ein Riese. Es war ein
ungewöhnliches Hotel, das einzige in Shela. Das einzige auf ganz Lamu, hatte
sein Herausgeber gesagt, das ordentliche Toiletten besaß.
Er nahm wieder eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Er
rauchte zuviel und aß zuwenig. »Wir beide nehmen das Leben zu ernst«, sagte er.
Sie zog die Nadeln aus ihrem Haar und ließ es mit einer ganz
normalen, aber in diesem Moment außergewöhnlichen Bewegung über den Rücken
fallen. Er beobachtete, wie es hin und her schwang, bevor es ruhig liegen
blieb. Die erstaunliche Fülle an Haar, die sich in einem Knoten verbarg, der
nicht größer als ein Pfirsich war, setzte wieder alte Erinnerungen frei.
»Das habe ich immer an dir geliebt«, sagte er.
»Andere Leute würden vielleicht bloß vögeln und es dabei bewenden
lassen. Einfach vögeln.«
»Wir haben es genossen.«
Er lächelte. »Das stimmt.«
Er wandte den Blick in Richtung Strand. Etwas hatte seine
Aufmerksamkeit erregt, etwas, was er zuvor nicht bemerkt hatte: An beiden Enden
des Badebereichs waren die Badenden nackt. Ein Mann mit schlaffen Hinterbacken
hatte ihm den Rücken zugewandt und sprach mit einer Frau, die auf einer Decke
lag. Er konnte ihr Haar sehen, aber nicht ihren Körper.
»War es je einfach?« fragte er.
»Du meinst leicht?«
»Ich meine, nicht ernst.«
»Nein.«
Er rieb sich das Gesicht. Der Sonnenbrand verursachte ein
Spannungsgefühl auf seiner Haut. Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen
auf die Knie. Sie vergeudeten ihre kostbare gemeinsame Zeit. Er wollte zu dem
Haus zurückkehren, wo sie wieder miteinander schlafen konnten, aber er wußte,
daß sie wahrscheinlich warten mußten, bis es kühler wurde. Vielleicht fuhr
wieder ein Militärlaster in die Stadt zurück.
»Das einzige, was ich vermisse«, sagte er, »ist Musik.«
»Hast du keine Bänder?« fragte sie.
»Ich hatte Bänder. Aber sie wurden gestohlen. Auch der Recorder. Ich
frage mich, was im Moment gerade in ist.«
Sie saßen entspannt schweigend da. Eine Dhau glitt am Horizont
entlang. Wie in uralten Zeiten. Seit Jahrhunderten unverändert.
»Wie war Richs Besuch?«
»Ach, es war wundervoll, abgesehen von der Tatsache, daß er Malaria
bekam. Wir hatten ihm gesagt, er solle die Pillen vorher nehmen, aber ich weiß
nicht, er ist eben erst sechzehn.«
»Geht’s ihm jetzt gut?«
»Ja. Er erholt sich in Nairobi.«
»Gibt es irgendwelche Fortschritte im Fall Ndegwa?« fragte sie.
»Nun, es gibt die Party in der Botschaft. Kommst du?«
»Ich weiß nicht.«
»Würdest du mit Peter kommen?«
Sie wandte den Blick ab. Sie wirkte erschöpft. Die Busfahrt aus
Malindi war sicher schrecklich gewesen. Er erinnerte sich an eine lange
Busfahrt nach Eldoret, die er und Regina einmal unternommen hatten, und wie der
Busfahrer angehalten hatte, damit alle Passagiere zum Pinkeln gehen konnten.
Die Frauen, einschließlich Regina, hatten sich niedergekauert und sich mit
ihren langen Röcken bedeckt.
»Hattest du nie Probleme, die Briefe zu schreiben?« fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Es hat mir gefallen.«
»Ich finde es frustrierend«, sagte sie. »Unangemessen.«
Er setzte sich auf, der plötzliche Ärger, der ihn packte, richtete
seinen Rücken auf. »Wie konntest du nur?« fragte er und warf seine Zigarette
auf den Zementboden.
Die unverständliche Frage und der plötzlich veränderte Tonfall
ließen sie zusammenzucken. »Wie konnte ich was nur?«
»Mit Peter schlafen.«
»Mit Peter schlafen?«
Thomas weigerte sich, die Frage zurückzunehmen. Er hielt sie für angemessen:
Wie konnte sie nach dem Sonntag in Njia mit einem anderen Mann zusammensein?
Er strich sich mit den Fingern durchs Haar. Er brauchte ein Bad.
Mein Gott, wie er stinken mußte. Eine solche Widerwärtigkeit, ein Gestank von
noch ungesünderer Süßlichkeit als die offenen Abwasserkanäle von Lamu hatte
keinen Platz an diesem Tisch. Er versuchte, die Meeresluft einzuatmen.
»Du hast erwartet, daß ich aufgrund des Eindrucks dieses einzigen
Treffens Peter nach neun Jahren sagen würde, daß unsere Ehe vorbei sei?« fragte
sie, und in ihrer Stimme drückte sich ihr Erstaunen aus.
»Ja«, sagte er. »Im Grunde schon.«
»Ich kann nicht glauben, daß du das sagst.«
»Warum nicht?« fragte er. »Wirst du jetzt einfach von hier
zurückgehen? Mir einfach sagen, du könntest mit Peter weiterleben und mich nie
mehr sehen?«
Lange Zeit sagte sie nichts.
»Nun?« sagte er.
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