Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
»Also?«
Sie legte die Hand an die Stirn. Er sah, daß sie leichenblaß
geworden war.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte er.
»Ich muß mich hinlegen.«
Es waren das Wasser, der Hummer, der Alkohol, der Spaziergang in
der Hitze oder die lächerlich peinlichen Fragen, die er ihr gestellt hatte. Ihr
war so schnell schlecht geworden, daß sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Bitte, sagte sie, und er wußte nicht, ob sie ihn bat,
aufzuhören oder ihr zu helfen. Sie lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn
und ließ sich nach drinnen führen. Aber sobald sie im Innern war, machte sie
sich frei, sprach schnell mit einer blonden, etwas älteren Frau hinter der Rezeption
und verschwand um eine Ecke. Thomas stand in der Mitte der kleinen hübschen
Eingangshalle und fragte sich, was passiert war.
»War sie krank?« fragte die Frau mit britischem Akzent. Sie trug ein
großgepunktetes Kleid.
Thomas schüttelte den Kopf.
»Schwanger?«
Die Frage verstörte ihn. Er brauchte einen Moment, bevor er
antworten konnte. »Ich weiß nicht«, sagte er, womit er zugab, daß er sie
vielleicht gar nicht so gut kannte.
»Was hat sie gegessen?«
»Hier? Grapefruit und Wasser.«
»Nun, die Grapefruit kann’s ja nicht gewesen sein, und das Wasser
ist in Flaschen. Hat sie vorher irgendwas gegessen?«
Thomas dachte an ihren Lunch bei Petley’s. »Hühnchen«, sagte er. Und
dann fiel es ihm wieder ein. »Sie hat Hummercocktail gegessen.«
»Wo?«
»Bei Petley’s.«
»Oh«, sagte die Frau, als wäre damit alles geklärt.
Aber hatte Linda den Hummer wirklich gegessen? Er versuchte, sich zu
erinnern. Und wie konnten sie oder er überhaupt Hummer bestellen? Essen Sie nie
Meeresfrüchte, es sei denn, Sie haben die Gewißheit, daß sie frisch sind, hieß
es in den Trainingssitzungen.
»Ich werde nach ihr sehen«, sagte die Frau.
Er wartete auf einer kamelhaarüberzogenen Couch und beobachtete
Badende, die mehr oder weniger leicht bekleidet hereinkamen und hinausgingen.
Eine Frau hatte einen Kanga um die Brust gebunden, sie war eindeutig nackt
darunter, und das Tuch verhüllte kaum ihre Blöße. Ein älterer Herr in einem
hellen Seersucker-Anzug saß neben ihm und sagte freundlich: »Wunderschöner
Tag.«
»Ja«, sagte Thomas, obwohl er nicht der Ansicht war. Viele Worte
hätten auf den Tag gepaßt – folgenschwer, herzzerreißend,
niederschmetternd – aber wunderschön war nicht darunter.
Die Augen des Mannes tränten ein wenig. Er hatte ein rotes Gesicht
und weiße Haare, und Thomas dachte: ›Ein alter Herr.‹ Ein seltsamer
Altersgeruch, von Eau de Cologne oder Haarwasser verdeckt, schien tief aus
seinem Körperinneren nach außen zu dringen. Seine fleckig roten, geäderten
Wangen würde man wohl als rosig bezeichnen. Eine ältere Frau trat in die Halle,
und der Mann stand auf, um sie zu begrüßen. Sie ging mit langsamen Schritten,
den Rücken leicht gebeugt. Ihr Haar war sorgfältig frisiert und
zusammengesteckt, sie trug eine lange, vielreihige Perlenkette über einer
pfirsichfarbenen Bluse. Sie hatte die nach oben verschobene Taille älterer
Frauen, aber trotzdem noch eine Taille. In ihren maulbeerfarbenen Pumps lief
sie langsam, mit kleinen, altdamenhaften Schritten.
Sie nahm den Arm des alten Mannes, und Thomas bemerkte, daß er seine
Hand auf die ihre legte. Gemeinsam gingen sie auf die Veranda hinaus. Waren
beide verwitwet? Waren sie verheiratet?
›Mein Gott‹, dachte er und drehte sich um.
Ein anderer Mann, eher in seinem Alter, gutaussehend und mit dunklem
Haar, trat einen Schritt rückwärts von der Veranda herein. Er schien den Ozean
fotografieren zu wollen. Einen Moment lang hantierte er mit seiner Kamera
herum, drückte Knöpfe und bediente Hebel, aber dann öffnete sich die Kamera zu
seiner Überraschung plötzlich wie von selbst. Der Mann nahm den Film heraus und
warf die nutzlos gewordene Filmrolle in den Abfallkorb.
Die blonde Inhaberin kam aus der Toilette zurück und ging direkt zur
Rezeption. Sie sperrte einen Schrank auf.
»Wie geht’s ihr?« fragte Thomas und erhob sich.
»Sie sieht ein bißchen kränklich aus«, sagte die Frau. Thomas fragte
sich, ob es sich dabei um ein Beispiel britischer Untertreibung handelte. Sie
goß braune Flüssigkeit in einen winzigen Pappbecher.
»Was ist das?« fragte Thomas.
»Oh«, sagte die Frau und drehte sich um. »Am besten, man denkt gar
nicht darüber nach.«
Reines Opium, dachte Thomas.
»Gibt es hier einen Arzt, den man rufen
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