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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Mr. Hussein tauchte nicht auf, und es war
Thomas, der sie fragen mußte, ob sie etwas Kaltes zu trinken haben wollte. Sie
schüttelte leicht den Kopf, und trotz der exotischen Umgebung wandte sie den
Blick nicht von ihm ab. Er stand eine Weile still da und sah sie ebenfalls an,
dann nahm er ihre Hand und führte sie die Treppe ins oberste Stockwerk hinauf,
wo die Betten standen. Die Muezzins hatten zu rufen aufgehört, und Vögel,
seltsame Wesen mit traurigem Schrei, setzten wie Spottdrosseln dort ein, wo die
heiligen Männer aufgehört hatten. Er schloß die schwere Holztür des
Schlafzimmers.
    Sie berührte seine Narbe und strich mit den Fingern leicht an deren
Rändern entlang.
    Die Worte, die jetzt gesprochen wurden, waren nur Namen oder Ausrufe.
Erstauntes Flüstern, daß sie überhaupt zusammengekommen waren. Er zog ihr
Gesicht dicht an das seine und wollte es nicht loslassen, obwohl sie keine
Anstrengung unternahm, sich zu befreien. Entweder weinte er oder sie – was zu
erwarten gewesen war –, und er war verblüfft, wie groß sein Gefühl der
Erleichterung war. Der Ausdruck sie einsaugen ging
ihm durch den Kopf, während er genau dies tat, und er verspürte solchen Durst,
solche Gier, daß er sich nicht einmal die Zeit nahm, mit ihr zu sprechen. Es würde
Stunden dauern, bevor sie miteinander sprechen könnten, dachte er, denn im
Moment gab es nur Haut, Brüste, lange Gliedmaßen und quälendes Sich-Loslassen,
um ein Kleid über den Kopf zu ziehen oder einen Gürtel zu öffnen. Und es war
so, als wären sie wieder Teenager in einem Buik Skylark Cabrio. Die keinen
anderen Ort brauchten. Die sich nicht einmal vorstellen konnten, woanders zu
sein.
    Die Laken waren rauh, aber sauber, aus dickem, grobem Leinen. Er
spürte Lust, aber nur untergründig – nicht wie bei Regina, wo Lust die
Voraussetzung dafür war, den Akt zu vollziehen, wo Lust notwendig war, um Zorn
und sogar Zuneigung auszublenden. In dem Bett mit dem Baldachin war kein Raum
für etwas anderes als das starke, freudige Gefühl, die Liebe wiedergefunden zu
haben. Und für das Bewußtsein, nur begrenzte Zeit zur Verfügung zu haben. Und
dieses Wissen um die beschränkte Zeit verstärkte die Empfindung, verstärkte die
Bedeutung, so daß für eine oder zwei Stunden das Bett mit den rauhen Laken
alles war, was sie von der Welt wahrnahmen.
    Die Sonne schien ihm in die Augen, als er aufwachte. Es war heiß im
Raum, und die Laken waren jetzt zerwühlt und feucht. Er ließ das sie bedeckende
Laken vom Bett gleiten, so daß er und Linda nackt dalagen, nur von dem dünnen
Baldachin abgeschirmt, der von einer leichten Brise gewölbt wurde. Er wandte
sein Gesicht von der Sonne ab und weckte sie damit auf. Die Jasminblüten waren
in die Kissen gedrückt worden, und der Duft ihres Haars und der der Blüten
vermischte sich mit dem Moschusgeruch ihrer Körper. Sie lagen da, wie er es
geträumt hatte: ihr Kopf an seiner Schulter, seine Arme um sie geschlungen, ein
Bein angezogen und über ihre gelegt. Es war eine ganz herkömmliche Haltung, die
tausend-, nein millionenmal tagtäglich eingenommen wird, und dennoch kam sie
ihm so bedeutsam vor, daß er kaum atmen konnte. Er fragte sich, wieviel Zeit
ihnen blieb: eine Stunde, ein Tag, ein Jahr? Und er fragte sie. Entschlossen,
sie nicht zu verlassen, bevor sie es tat, gleichgültig, wann das wäre. Sein
Körper war unfähig, sie zu verlassen, von ihr fortzugehen.
    »Ich habe einen Tag«, sagte sie.
    »Einen Tag.«
    »Einen Tag und eine Nacht.«
    Das Gefühl von Zeit war so verblüffend, daß er die zugewiesene
Spanne laut wiederholen mußte. Die Sonne über ihnen bewegte sich, sie bewegten
sich fast gar nicht. Als würde die Zeit sie vergessen, wenn sie sich nicht
rührten. Bis der Durst sie zwang, ihn um ein Glas Wasser zu bitten. Es
widerstrebte ihm, sie zu verlassen, aber er zog seine Hose an, machte sich auf
die Suche nach Wasser und fand Mr. Hussein, der am Küchentisch las. Thomas
erklärte ihm auf Suaheli, was er wollte, und sofort holte Mr. Hussein aus einem
Kühlschrank, der wohl aus den dreißiger Jahren stammte, ein Gefäß mit kaltem
Wasser. Der Diener, der sich zu freuen schien, daß er gebraucht wurde, legte
köstliches Honigkonfekt dazu und Nüsse, die er nicht näher bezeichnete. Thomas
trug das Tablett nach oben und bemerkte zwei Gläser anstelle von einem.
    Sie trank, als wäre sie am Verdursten. Sie setzte sich auf,
vollständig nackt, und er bewunderte ihre Brüste und die flache Wölbung

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