Der weiße Reiter
Spiel, dieses Tafl, bei dem einer der Mitspieler einen König und ein Dutzend
Steine hat und der andere doppelt so viele Steine, aber keinen König. Und dann werden die Steine auf dem in Quadrate unterteilten
Brett herumgeschoben, bis alle Steine des einen oder des anderen Spieler eingekreist sind. Ich hatte keine Geduld für dieses
Spiel. Alfred aber fand großen Gefallen daran, schien jedoch in dieser Runde im Nachteil zu sein und war deshalb erleichtert,
mich zu sehen. «Ich will, dass du nach Defnascir reitest», sagte er.
«Natürlich, Herr.»
«Ich fürchte, Euer König ist ernstlich bedroht, Herr», frohlockte Beocca.
«Sei’s drum», entgegnete Alfred gereizt. Er wandte sich mir zu. «Du gehst nach Defnascir, aber Iseult bleibt hier.»
|353| Ich hielt mich im Zaum. «Soll sie wieder als Geisel herhalten?», fragte ich.
«Ich brauche ihre Arznei», antwortete der König.
«Arznei, die von einer Aglæcwif gemischt wird?»
Er strafte mich mit strengem Blick. «Sie ist eine Heilerin», sagte er, «also Gottes Werkzeug, und mit Gottes Hilfe wird auch
sie zur Wahrheit finden. Übrigens musst du schnell sein und kannst deshalb unterwegs keine Frau brauchen. Du gehst nach Defnascir
und suchst Svein und, wenn du ihn gefunden hast, sagst du Odda dem Jüngeren, dass er seinen Fyrd aufstellen soll. Sag ihm,
dass Svein aus der Grafschaft vertrieben werden muss. Wenn ihm das gelungen ist, soll Odda mit seinen Truppen hierherkommen.
Als Anführer meiner Leibwache hat er in meiner Nähe zu sein.»
«Ihr wollt, dass ich Odda Befehle erteile?», fragte ich halb verwundert, halb höhnisch.
«Ja», antwortete Alfred. «Und dir befehle ich, Frieden mit ihm zu halten.»
«Ja, Herr.»
Er hörte den Spott in meiner Stimme. «Wir sind alle Sachsen, Uhtred. Es ist höchste Zeit, alte Wunden heilen zu lassen.»
Beocca, der dem König nicht die Laune verderben wollte, indem er ihn im Tafl schlug, sammelte die Spielsteine vom Brett. «Ein
Haus, das mit sich selbst uneins wird, kann nicht bestehen», zitierte er. «So steht es im Evangelium des Matthäus.»
«Gelobt sei Gott für diese Wahrheit», sagte Alfred. «Und wir müssen Svein loswerden.» Das war die größere Wahrheit. Alfred
wollte nach Ostern gegen Guthrum ins Feld ziehen, was er aber kaum tun konnte, wenn ihm Sveins Streitkräfte im Nacken säßen.
«Du findest Svein», ordnete der König an, «und Steapa begleitet dich.»
|354| «Steapa!»
«Er kennt die Gegend», sagte Alfred, «und ich habe ihm befohlen, dir zu gehorchen.»
«Es ist besser, wenn ihr zu zweit seid», mischte sich Beocca ein. «Auch Josua sandte zwei Kundschafter nach Jericho.»
«Ihr liefert mich meinen Feinden aus», bemerkte ich wütend, doch als ich darüber nachdachte, erschien mir Alfreds Befehl,
mich als Kundschafter loszuschicken, durchaus vernünftig. Die Dänen in Defnascir wären vor Leuten des Königs auf der Hut.
Ich aber beherrschte ihre Sprache und konnte selbst als Däne durchgehen, weshalb nur ich für diesen Auftrag in Frage kam.
Und als Begleiter eignete sich niemand besser als Steapa, der aus Defnascir stammte, das Land bestens kannte und als Getreuer
Oddas wie kein anderer berufen war, ihm eine Botschaft des Königs zu überbringen.
Und so brachen wir beide an einem verregneten Tag von Æthelingæg auf und ritten nach Süden.
Steapa mochte mich nicht, und ich mochte ihn nicht, sodass der Ritt ziemlich schweigsam verlief, abgesehen davon, dass ich
hin und wieder vorschlug, welchen Weg wir einschlagen sollten, womit er stets einverstanden war. Wir hielten uns in der Nähe
der großen Römerstraße, waren aber vorsichtig, denn solche Straßen nutzten die Dänen bei ihren Streifzügen nach Beute oder
Vorräten häufig. Außerdem würde auch Svein diese Straße nehmen, wenn er nach Cippanhamm zog, um sich Guthrum anzuschließen.
Allerdings sahen wir weder Dänen noch Sachsen. Jedes Dorf und jedes Gehöft, an dem wir vorbeikamen, war geplündert und in
Brand gesteckt worden. Wir reisten durch ein totes Land.
Am zweiten Tag wechselte Steapa unvermittelt und ohne |355| ein Wort der Erklärung die Richtung und drängte stur auf die Hügel im Westen zu. Ich folgte ihm, weil er sich in dieser Gegend
gut auskannte, und glaubte, dass er auf das Hochmoor von Dærentmora zusteuerte. Er ritt schnell und mit verbissener Miene.
Auf meine Ermahnung, dass wir uns vorsichtiger verhalten sollten, reagierte er nicht. Stattdessen sprengte er fast
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