Der weiße Reiter
im Galopp
auf ein enges Tal zu, bis ein Gehöft in Sicht kam.
Oder was von dem Gehöft noch übriggeblieben war. Nur verkohlte Trümmer lagen noch inmitten einer grünen Weide und von hohen
Bäumen umgeben, an deren Zweigen sich ein erster Frühlingshauch bemerkbar machte. Die Weide war von blühenden Blumen gesäumt,
doch da, wo einst mehrere Gebäude gestanden hatten, sah man nur Schutt und Asche. Steapa stieg vom Pferd und ging auf die
Ruine zu. Anstelle seines Schwertes, das er an die dänischen Besatzer von Cippanhamm hatte abtreten müssen, trug er eine riesige
Streitaxt bei sich, mit der er jetzt in den schwarzen Überresten stocherte.
Ich hielt sein Pferd fest, band anschließend beide Tiere an dem verkohlten Stamm einer Esche fest und beobachtete ihn. Ich
spürte, dass ein falsches Wort einen Zornesausbruch bewirken konnte, also sagte ich nichts. Vor einem Hundegerippe kauerte
er nieder, starrte lange in die verkohlten Trümmer und streckte dann die Hand aus, um den schwarzen Schädel zu streicheln.
Ich weiß nicht, ob es Tränen oder Regentropfen waren, die ihm übers Gesicht rannen.
Hier waren einst an die zwei Dutzend Menschen zu Hause gewesen. Am Südrand des Weilers hatte ein größeres Gebäude gestanden.
Ich schaute mich in seinen Trümmern um und sah, dass die Dänen auf der Suche nach versteckten Münzen bei den Pfosten Löcher
gegraben |356| hatten. Steapa stand zwischen den Überresten einer kleineren Hütte. Vielleicht, so dachte ich, war er darin aufgewachsen.
Ich mochte mich nicht in seine Nähe begeben und fragte mich, ob ich es wagen konnte, ihn zum Weiterreiten aufzufordern. Er
hatte sich darangemacht, mit der riesigen Streitaxt den feuchten Boden aufzuhacken und mit bloßen Händen ein flaches Grab
für die Gebeine des Hundes auszuheben. An den Knochen klebten noch Reste von Fell, das Fleisch aber war vollständig abgenagt
worden, und die Rippen lagen verstreut umher. Der Überfall hatte also schon vor mehreren Wochen stattgefunden. Steapa sammelte
die Knochen ein und legte sie behutsam in das Grab.
In diesem Moment tauchten Leute auf. Man kann tagelang durch verwüstete Landstriche ziehen, ohne einer Menschenseele zu begegnen,
wird aber selbst längst beobachtet. Wenn der Feind kommt, versteckt sich das Volk in den Wäldern und wartet, bis die Gefahr
vorbei ist. Jetzt traten drei Männer, mit Spießen bewaffnet, aus dem nahen Gehölz.
«Steapa!», rief ich. Er wandte sich mir zu, offenbar wütend über die Unterbrechung, sah aber dann, dass ich Richtung Westen
deutete.
Er stieß einen Schrei des Erkennens aus, und die drei Männer eilten herbei, ließen die Waffen fallen und umarmten den Riesen.
Alle sprachen durcheinander, doch als sie sich ein wenig beruhigt hatten, nahm ich einen von ihnen beiseite und fragte ihn,
was geschehen war. Ich erfuhr, dass die Dänen kurz nach dem Julfest aufgetaucht waren, plötzlich und ohne Vorwarnung, zu einer
Zeit, da noch niemand geahnt hatte, dass die Heiden überhaupt in Defnascir waren. Die drei Männer hatten in einem nahegelegenen
Wald eine Buche gefällt, als die Dänen über |357| den Weiler hergefallen waren. Seitdem hielten sie sich versteckt, denn die Dänen streiften auf der Suche nach Nahrung umher.
Sachsen hatten sie unterdessen keine gesehen.
Sie hatten die Bewohner auf einer Weide im Süden begraben. Steapa ging dorthin und kniete sich ins nasse Gras. «Seine Mutter
liegt dort», sagte einer der Männer. Er sprach ein so eigentümliches Englisch, dass ich ihn ständig bitten musste, sich zu
wiederholen. Aber so viel verstand ich. «Steapa war ein guter Sohn. Er brachte ihr Geld und befreite sie aus der Knechtschaft.»
«Und sein Vater?»
«Der ist schon lange tot.»
Weil ich dachte, Steapa würde gleich seine Mutter ausgraben, trat ich zu ihm. «Wir haben einen Auftrag zu erfüllen», sagte
ich.
Er starrte mich mit ausdrucksloser Miene an.
«Den Auftrag, Dänen zu töten», erklärte ich. «Die Dänen, die diese Menschen hier getötet haben, müssen sterben.»
Er nickte, erhob sich zu seiner vollen Größe, wischte die Klinge der Axt ab und stieg in den Sattel. «Dänen töten», sagte
er und ließ seine Mutter in ihrem kalten Grab zurück, während wir uns auf die Suche nach diesen Dänen machten.
|358| ZEHN
Wir ritten nach Süden und waren dabei sehr vorsichtig, denn die Leute, denen wir begegneten, sagten, es wären immer noch Dänen
in diesem Teil der Grafschaft.
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