Der weiße Reiter
Schlickufern gemächlich dahinströmte und über
den Fischreusen kleine Wellen schlug. «Sollen wir kämpfen?»
«Haben wir eine Wahl?»
Er lächelte. «Wir haben eine Wahl, Uthred. Wir könnten uns davonmachen. Wir könnten ins Frankenland gehen. Ich könnte ein
König im Exil werden und beten, dass Gott mich irgendwann zurückbringt.»
«Glaubt Ihr, dass Gott das tun wird?»
«Nein», gab er zu. Wenn er davonliefe, würde er im Exil sterben. Das wusste er.
«Also werden wir kämpfen», sagte ich.
|408| «Und ich werde mein Gewissen mit dem Tod all jener Männer belasten, die in einem hoffnungslosen Kampf gefallen sind. Zweitausend
gegen fünftausend? Wie kann ich es rechtfertigen, so wenige gegen so viele antreten zu lassen?»
«Ihr wisst, wie.»
«Damit, dass ich König von Wessex bleiben will?»
«Damit, dass wir nicht Sklaven im eigenen Land werden wollen», sagte ich.
Er dachte eine Weile nach. Eine Eule flog als jäher Schatten aus weißen Federn dicht über uns hinweg. Ich wusste, das war
ein Omen. Doch was bedeutete es? «Vielleicht werden wir bestraft», sagte Alfred.
«Wofür?»
«Dafür, dass wir den Britonen ihr Land abgenommen haben?»
Das erschien mir unsinnig. Wenn Alfreds Gott ihn dafür bestrafen wollte, dass seine Vorfahren das Land der Britonen besetzt
hatten, warum sollte er da die Dänen schicken? Warum nicht die Britonen? Gott könnte Arthus wiederauferstehen lassen, damit
sich sein Volk rächen konnte, aber warum sollte er ein anderes Volk schicken, um das Land zu besetzen? «Wollt Ihr Wessex,
oder wollt ihr es nicht?», fragte ich grob.
Nach längerem Schweigen lächelte er traurig. «Mein Gewissen lässt mir keine Hoffnung für diesen Kampf, aber als Christ muss
ich glauben, dass wir siegen können. Gott wird uns nicht verlassen.»
«Und das hier auch nicht», sagte ich und klopfte auf das Heft meines Schwertes.
«So einfach ist das?»
«Das Leben ist einfach», sagte ich. «Bier, Frauen, Kampf und Ruhm. Alles andere zählt nicht.»
|409| Er schüttelte den Kopf, und ich wusste, dass er an seinen Gott dachte, an Gebete und Pflichterfüllung, aber er ging nicht
weiter darauf ein. «Angenommen, du wärst an meiner Stelle, Uhtred», sagte er. «Würdest du in den Kampf ziehen?»
«Ihr habt Euch doch schon entschieden, Herr», sagte ich. «Warum fragt Ihr mich da noch?»
Er nickte. Im Dorf bellte ein Hund. Alfred drehte sich um und betrachtete die Hütten, den Palas und die Kirche, über deren
Giebel er ein großes Kreuz aus Erlenholz hatte errichten lassen. «Morgen», sagte er, «wirst du mit hundert Reitern losziehen
und die Vorhut des Heeres bilden.»
«Ja, Herr.»
«Und wenn wir auf den Feind treffen», fuhr er mit einem Blick auf das Kreuz fort, «schützt du mit fünfzig oder sechzig Männern
deiner Wahl meine Banner. Nimm die besten.»
Weiterer Worte bedurfte es nicht. Ich sollte die erfahrensten, hemmungslosesten Krieger aussuchen, Männer, die den Kampf liebten,
und sie dorthin führen, wo die Schlacht am wildesten tobte, denn der Feind liebt es, die Banner des Gegners zu rauben. Mit
ihrem Schutz beauftragt zu sein war eine große Ehre, es bedeutete aber auch den sicheren Tod, falls wir die Schlacht verlieren
sollten. «Das will ich gern tun, Herr», sagte ich, «aber ich erbitte von Euch ebenfalls einen Gefallen.»
«Wenn ich es kann», sagte er vorsichtig.
«Wenn Ihr es könnt», sagte ich, «dann begrabt mich nicht. Legt mir ein Schwert in die Hand und verbrennt meinen Körper auf
einem Scheiterhaufen.»
Er zögerte, dann nickte er, und er wusste, dass er sich mit einem heidnischen Ritual einverstanden erklärte. «Ich |410| habe dir noch nicht gesagt, wie sehr ich den Tod deines Sohnes bedaure.»
«Auch ich bedaure ihn, Herr.»
«Aber er ist jetzt bei Gott, Uhtred, er ist gewiss bei Gott.»
«So heißt es, Herr, so heißt es.»
Am nächsten Tag zogen wir los. Das Schicksal ist unausweichlich, und obwohl die Zahlen und die Vernunft uns sagten, dass wir
nicht gewinnen konnten, durften wir nicht verlieren, und deshalb zogen wir zu Egberts Stein.
Wir bewegten uns mit großem Zeremoniell. Dreiundzwanzig Priester und achtzehn Mönche liefen an der Spitze und intonierten
einen Psalm, während sie Alfreds Streitkräfte von der Festung an den Weg Richtung Süden wegführten und sich ostwärts wandten,
dem Herzland von Wessex entgegen.
Sie psalmodierten auf Latein, sodass ich nichts verstehen konnte. Pater Pyrlig, dem
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