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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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erzürnt hatte. Die Frauen führten
     die mit Schilden, Nahrungsmitteln und weiteren Speeren beladenen Packpferde. Und sie waren fast alle selbst bewaffnet. Sogar
     Hild, die Nonne, wollte sich an den Dänen rächen, die sie missbraucht hatten, und trug ein langes Messer. «Gott erbarme sich
     unserer Feinde, wenn sie diesen Frauen in die Hände fallen», sagte Pater Pyrlig beim Anblick unserer Nachhut.
    Wir beide ritten nun ostwärts. Unsere Reiter sicherten das Fußvolk auf allen Seiten, und immer blieb der eine in Sichtweite
     des Nächsten, um sofort ein Zeichen weitergeben zu können, falls sich irgendwo feindliche Truppen zeigen sollten. Aber da
     war niemand. So ritten oder marschierten wir unter einem strahlenden Frühlingshimmel durch eine blühende Landschaft, begleitet
     vom unablässigen Gesang der Geistlichen, unter den sich gelegentlich auch Kampflieder mischten, angestimmt von den Männern,
     die Alfreds Bannerführer schützten.
    Pater Pyrlig schlug mit der Hand im Takt dazu und grinste mich breit an. «Ich nehme an, Iseult singt Euch auch so manches
     Lied, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Wir Britonen singen für unser Leben gern. Ich werde ihr ein paar schöne geistliche Hymnen beibringen.» Dann lachte er angesichts
     meiner sauren Miene. «Keine Sorge, Uhtred, sie ist keine Christin.»
    «Nein?», fragte ich überrascht.
    «Nun ja, vielleicht ist sie es doch, einstweilen. Schade, |414| dass Ihr nicht bei ihrer Taufe wart. War verflixt kalt, das Wasser. Ging durch Mark und Bein.»
    «Sie ist getauft, und doch sagt Ihr, sie sei keine Christin?»
    «Sie ist es, und sie ist es nicht», antwortete Pyrlig und grinste. «Jetzt ist sie es, weil sie unter Christen lebt. Aber sie
     ist und bleibt auch eine Schattenkönigin, und das wird sie nicht vergessen.»
    «Glaubt Ihr an Schattenköniginnen?»
    «Natürlich tue ich das! Guter Gott, sie ist bestimmt eine!» Er bekreuzigte sich.
    «Bruder Asser nennt sie eine Hexe», sagte ich. «Eine Zauberin.»
    «Das sieht ihm ähnlich, nicht wahr? Er ist eben ein Mönch. Mönche heiraten nicht. Er hat Angst vor Frauen, es sei denn, sie
     sind hässlich, und dann drangsaliert er sie. Aber vor einem hübschen jungen Ding verliert er sein bisschen Verstand. Und natürlich
     hasst er die Macht der Frauen.»
    «Macht?»
    «Damit meine ich nicht nur ihre Reize. Gott weiß, ein schöner Busen ist auch nicht ohne, aber ich meine eine andere Macht.
     Meine Mutter hatte sie. Sie war zwar keine Schattenkönigin, verstand sich aber trotzdem auf Heilkunst und Weissagung.»
    «Konnte sie in die Zukunft sehen?»
    Er schüttelte den Kopf. «Sie spürte Unheil, auch wenn es sich in der Ferne zutrug. Als mein Vater starb, schrie sie plötzlich
     ganz laut auf, denn sie wusste, was geschehen war. Und sie hatte recht. Der arme Mann war von einem Sachsen getötet worden.
     Ihre größten Fähigkeiten hatte sie allerdings als Heilerin. Von weit her kamen Kranke zu ihr. Dass sie eine gebürtige Sächsin
     war, machte ihnen |415| nichts aus. Manche liefen eine ganze Woche, um sich von ihr die Hand auflegen zu lassen. Und ich? Ich bekam ihre Hand unentgeltlich
     zu spüren. Und zwar heftig, aber vermutlich nicht einmal unverdient. Eine selten begabte Heilerin war sie trotzdem. Das mögen
     die Priester natürlich nicht.»
    «Warum nicht?»
    «Weil wir Priester den Leuten erzählen, dass alle Macht von Gott kommt, und wenn sie nicht von ihm kommt, muss sie des Teufels
     sein, versteht Ihr? Die Kirche will, dass die Kranken zu ihr kommen und den Priestern Geld für ihre Heilung geben. Außerdem
     gefällt es Priestern nicht, wenn es Dinge gibt, die sie nicht verstehen, und darum gefällt es ihnen auch nicht, wenn Leute
     zu Heilerinnen gehen. Aber was sollen die Leute sonst tun? Die Hände meiner Mutter, Gott sei ihrer sächsischen Seele gnädig,
     wirkten besser als alle Gebete und Sakramente zusammen. Ich würde niemanden davon abhalten, eine Heilerin aufzusuchen. Im
     Gegenteil, ich ermutige sie dazu.» Er brach ab, denn ich hatte eine Hand gehoben. Auf dem Hügel im Norden hatte sich etwas
     bewegt, doch es war nur ein Reh. Ich ließ die Hand wieder fallen und trieb mein Pferd an. «Was ich sagen wollte», fuhr Pyrlig
     fort, «Eure Iseult besitzt diese Macht und wird sie nicht verlieren.»
    «Ist sie durch die Taufe nicht von ihr abgewaschen worden?»
    «Aber nein! Sie ist in dem Wasser nur ein bisschen sauberer geworden. Es kann nicht schaden, einmal oder zweimal im Jahr ein
     Bad zu nehmen.»

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