Der weiße Reiter
Kein Mond, keine Sterne. An der Küste im Norden leuchtete für kurze Zeit ein Feuerschein, doch auch der
war bald verschwunden, und wir waren wie blind. Der Wind frischte auf, der Seegang nahm zu. Wir holten die Ruder ein und ließen
uns in der Strömung treiben, denn zu steuern hatte keinen Sinn. Ich blieb an Deck und starrte ins Dunkle. Iseult schmiegte
sich unter meinem Umhang an mich, und ich erinnerte mich an ihren wohligen Gesichtsausdruck, als wir den Kampf aufnahmen.
Trüb dämmerte der Morgen. Das Meer war ein weißgestreiftes Grau, der Wind kalt und kein Land in Sicht. Dass zwei weiße Vögel
vorüberflogen, deutete ich als ein Zeichen und steuerte in die Richtung, in die sie verschwunden waren. Erst spät am Nachmittag,
als wir lange im kalten Regen über eine raue See gefahren waren, sahen wir Land. Wir waren wieder bei der Insel der Papageientaucher.
Wir fanden Schutz in der Bucht und entzündeten am Ufer ein Feuer.
«Wenn die Dänen erfahren, was wir getan haben …», hob Leofric an.
|137| «Werden sie uns suchen», beendete ich für ihn den Satz.
«Zuhauf.»
«Also ist es Zeit für uns, nach Hause zurückzukehren», sagte ich.
Die Götter waren uns gnädig gewesen, und am nächsten Morgen ruderten wir auf ruhiger See nach Süden, bis wir das Festland
erreichten, und folgten dann der Küste nach Westen, um die wilde Landzunge zu umschiffen, wo sich die Schweinswale tummelten,
und in östlicher Richtung nach Hause zu fahren.
Sehr viel später erfuhr ich, wie es Svein ergangen war, nachdem wir uns getrennt hatten, und weil er mein Leben beeinflusst
und meine Feindschaft gegenüber Alfred vertieft hatte, will ich seine Geschichte hier erzählen.
Ich vermute, dass ihn der Gedanke an den goldenen Altar bei Cynuit nicht mehr losgelassen und ihn nach Glwysing gelenkt hatte,
wo er seine Männer versammelte. Glwysing, ein weiteres britonisches Königreich, lag im Süden von Wales. Es gab dort sichere
Häfen, und der König hieß die Dänen willkommen, denn ihre Anwesenheit hielt Guthrums Männer davon ab, über die Grenze von
Mercien plündernd in sein Land einzufallen.
Verstärkt um ein zweites Schiff und seine Mannschaft, segelte Svein gen Cynuit. Sie erreichten den Ort früh morgens und wurden
durch dichten Nebel erst spät bemerkt. Ich kann mir gut vorstellen, wie ihre beiden tierköpfigen Schiffe aus dem fahlen Grau
der Dämmerung auftauchten, wie Monster aus einem Albtraum. Sie ruderten schnell durch die Mündung flussaufwärts, landeten,
und dann strömten die Mannschaften ans Ufer, Männer in Kettenhemden und Helmen, Speer-Dänen und Schwert-Dänen, |138| und bald darauf hatten sie Kloster und Kirche vor sich, an denen noch gebaut wurde.
Odda der Jüngere hatte den Platz für die Kirche ausgesucht, doch er wusste, dass sie gefährlich nah am Meer lag, und hatte
deshalb entschieden, sie zur Festung auszubauen. Der Kirchturm sollte so hoch gemauert werden, das sich von oben das Gelände
ringsum überwachen ließ. Außerdem sollten eine Palisade und ein Wassergraben die Priester und Mönche schützen. Doch als Svein
kam, war keine dieser Arbeiten abgeschlossen, sodass der Ort kaum zu verteidigen war, und außerdem konnten die wenigen Kämpfer
gegen die Dänen ohnehin nichts ausrichten. Sie waren im Handumdrehen niedergemacht oder in die Flucht geschlagen. Anschließend
brannten die Dänen alles nieder, was gerade erst gebaut worden war, und sie hackten das hohe Holzkreuz ab, das man als Erstes
aufgestellt hatte, denn damit wurden Klöster üblicherweise kenntlich gemacht.
An dem Bau arbeiteten nur Mönche, mehrheitlich Novizen. Svein trieb sie zusammen, verlangte, dass sie ihm zeigten, wo die
Kostbarkeiten versteckt waren, und versprach ihnen Gnade, wenn sie ihm die Wahrheit sagten. Und das taten sie. Wie sich herausstellte,
gab es nicht viel zu erbeuten, geschweige denn einen goldenen Altar. Doch immerhin hatten die Mönche eine Truhe voller Silberpennys,
die für den Kauf von Bauholz gedacht waren. Die Dänen gaben sich damit zufrieden, brachten dann den halbfertigen Kirchturm
zum Einsturz, rissen die angefangene Palisade nieder und schlachteten einen Teil des Viehs. Schließlich wollte Svein wissen,
wo Ubba begraben lag, worauf die Mönche verstockt schwiegen. Also wurden wieder die Schwerter gezogen, und die Frage wurde
ein zweites Mal gestellt. Nun verrieten die Mönche, dass sich |139| das Grab des toten dänischen Anführers
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