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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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war es. Ein Name wurde aufgerufen, und aus dem Gedränge neben der Tür löste sich ein junger Priester mit feistem, finsterem
     Gesicht. Er eilte so schnell nach vorn, als fürchtete er, der Tag reiche zur Erfüllung seines Auftrags nicht aus. Er verbeugte
     sich vor dem König, nahm ein Pergament von dem Tisch, an dem die beiden Schreiber saßen, und stellte sich in die Mitte des
     Halbkreises der Räte.
    «Wenn es der Witan gestattet, sollten wir uns nun mit |169| einer sehr dringlichen Angelegenheit befassen», sagte Alfred. Natürlich mochte dem niemand widersprechen. Mit einem leisen
     Gemurmel wurde die Unterbrechung der eher weltlichen Fragen gebilligt. Alfred nickte. «Pater Erkenwald wird die Klageschrift
     verlesen», sagte er und kehrte auf seinen Thron zurück.
    Die Klageschrift? Ich war verwirrt wie ein von Hunden und Lanzenträgern umzingelter Eber, unfähig, mich zu bewegen, und so
     stand ich reglos da, als Pater Erkenwald das Pergament ausrollte. Er räusperte sich und las mit hoher, klar verständlicher
     Stimme: «Uhtred von Oxton, Ihr werdet heute des Verbrechens beschuldigt, ohne die Einwilligung unseres Königs ein Schiff seiner
     Flotte genommen, es nach Cornwalum gesteuert und, ebenfalls ohne die Einwilligung des Königs, Krieg gegen die Britonen geführt
     zu haben. All das können Männer unter Eid beschwören.» Erneut war Gemurmel zu hören, das aber der König mit erhobener Hand
     zum Schweigen brachte. «Ferner werdet Ihr beschuldigt», fuhr Erkenwald fort, «Euch mit einem Heiden namens Svein verbündet
     und mit seiner Hilfe Christenmenschen in Cornwalum getötet zu haben, obwohl sie in Frieden mit unserem König lebten. Auch
     das können wir durch Eide beweisen.» Er legte eine Pause ein, und nun war es totenstill in der Halle. «Ferner werdet Ihr beschuldigt»,
     Erkenwald las mit gedämpfter Stimme weiter, als könne er selbst nicht glauben, was da stand, «gemeinsam mit dem Heiden Svein
     in einem hinterhältigen und frevlerischen Anschlag die Kirche von Cynuit ausgeraubt und Euch damit an unserem gesegneten Königreich
     versündigt zu haben.» Dieses Mal folgte kein Gemurmel, sondern ein lauter Ausbruch der Empörung, und Alfred ließ die Leute
     gewähren, sodass Erkenwald die Stimme erheben musste, um die Klageschrift zu Ende zu |170| lesen. «Und auch das», er schrie inzwischen fast, «können Männer beschwören.» Er senkte das Pergament, bedachte mich mit einem
     Blick voller Abscheu und kehrte an den Rand des Podestes zurück.
    «Er lügt», knurrte ich.
    «Ihr werdet noch Gelegenheit haben, Euch zu verteidigen», entgegnete mit grimmiger Miene ein Geistlicher, der neben Alfred
     saß. Er trug eine Mönchskutte, darüber aber ein Messgewand, das über und über mit Kreuzen bestickt war. Er hatte dichtes weißes
     Haar und eine tiefe, ernste Stimme.
    «Wer ist das?», fragte ich Beocca.
    «Seine Heiligkeit Æthelred», flüsterte Beocca und erklärte, als er sah, dass der Name mir nichts sagte, «der Erzbischof von
     Contwaraburg.»
    Der Erzbischof beugte sich vor und wechselte ein paar Worte mit Erkenwald. Ælswith starrte mich an. Sie hatte mich noch nie
     gemocht, und als sie jetzt meiner Vernichtung beiwohnte, machte sie aus ihrer Genugtuung kein Hehl. Alfred sah sich inzwischen
     äußerst genau die Balkenkonstruktion unter der Decke an, als sähe er sie zum ersten Mal. Er wollte sich offenbar aus diesem
     Gerichtsverfahren heraushalten, denn ein Gerichtsverfahren war es, und es anderen überlassen, meine Schuld nachzuweisen. Das
     Urteil aber würde er zweifellos selbst fällen, und es schien, dass nicht nur ich seinen Spruch zu fürchten hatte, denn der
     Erzbischof erkundigte sich finster: «Ist der zweite Gefangene anwesend?»
    «Er wird im Stall festgehalten», sagte Odda der Jüngere.
    «Man bringe ihn her», verlangte der Erzbischof entrüstet. «Jedermann hat ein Recht darauf, seine Ankläger zu hören.»
    |171| «Von wem ist die Rede?», wollte ich wissen.
    Es war Leofric, der in Ketten nach vorn geführt wurde. Empörte Ausrufe waren diesmal nicht zu hören, denn alle hielten ihn
     für meinen Gefolgsmann. Ich war der Schuldige, und Leofric war mit in die Falle gegangen, und dafür musste er jetzt büßen.
     Die Männer in der Halle empfanden Mitleid mit ihm, und sie wussten, dass er aus Wessex stammte, während ich ein Eindringling
     aus Northumbrien war. Leofric warf mir einen reumütigen Blick zu, als er von den Wachen aufgefordert wurde, sich an

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