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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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weggeblieben», fügte Eanflæd hinzu.
    «Wieso?»
    «Weil er nicht sofort zu mir gekommen ist», antwortete sie empört. «Darum.» Sie war fünf oder sechs Jahre älter als ich, hatte
     ein breites Gesicht, eine hohe Stirn und krause Haare. Weil sie bei den Männern sehr beliebt war, genoss sie in dem Wirtshaus
     große Freiheiten, denn der Wachtelkönig verdankte seine Einnahmen mehr ihren Fähigkeiten als der Güte des hauseigenen Bieres.
     Ich wusste, dass sie Leofric gern hatte, aber ihr Ton legte nahe, dass sie sich mehr als nur Freundschaft von ihm wünschte.
     «Wer ist das?», fragte sie und nickte in Richtung Iseult.
    «Eine Königin», antwortete ich.
    |164| «So kann man’s wohl auch nennen. Und wie geht’s deiner Frau?»
    «Sie ist in Defnascir geblieben.»
    «Du bist eben auch wie alle anderen, stimmt’s?» Ein Schauer überlief sie. «Wenn’s euch in der Nacht kalt wird, könnt ihr ja
     die Hunde hereinholen; die werden euch wärmen. Ich muss jetzt wieder an die Arbeit.»
    Es wurde sogar sehr kalt. Wir schliefen trotzdem leidlich. Am nächsten Morgen, dem zwölften nach Weihnachten, ließ ich meine
     sechs Männer im Wachtelkönig zurück und nahm Iseult und Haesten mit zu den königlichen Gebäuden, die von einer eigenen Palisade
     umgeben im Süden der Stadt lagen, wo der Fluss um die Mauern herumfließt. Dass ein Ratsmitglied mit seinem Gefolge zum Witanegemot
     erschien, war durchaus üblich, wenn auch nicht gerade mit einem Dänen und einer Britonin, doch Iseult brannte darauf, Alfred
     zu sehen, und ich wollte ihr gefällig sein. Außerdem sollte am Abend das große Fest stattfinden. Ich sagte Iseult, dass Alfreds
     Feste ziemlich armselige Veranstaltungen waren, aber sie wollte trotzdem hin. Haesten war, mit Kettenhemd und Schwert gerüstet,
     zu ihrem Schutz bestimmt, denn ich rechnete damit, dass sie vor der Halle, in der der Witan tagte, zurückgewiesen werden würde
     und bis zum Abend warten musste, ehe sie Alfred zu Gesicht bekäme.
    Der Torwächter verlangte, dass wir unsere Waffen ablegten. Ich fügte mich widerwillig, denn außer Alfreds Haustruppe durfte
     in seiner Gegenwart kein Mann bewaffnet sein. Wir erfuhren, dass der Rat seine täglichen Gespräche schon aufgenommen hatte,
     und so eilten wir an den Ställen und der neu gebauten großen Königskirche mit ihren zwei Türmen vorbei. Eine Gruppe Priester
     hielt sich vor der Pforte zur Versammlungshalle auf, und ich |165| entdeckte unter ihnen Beocca, den alten Priester meines Vaters. Ich lächelte ihn zur Begrüßung an, doch er wirkte blass und
     angespannt: «Du kommst spät», sagte er.
    «Freut Ihr Euch nicht, mich zu sehen?», fragte ich spöttisch.
    Er sah zu mir auf. Trotz seines scheelen Blicks, der roten Haare und der verkrüppelten linken Hand hatte sich Beocca zu einer
     ehrfurchtgebietenden Autorität entwickelt. Er war jetzt Hofprediger und darüber hinaus Beichtvater und Vertrauter des Königs,
     und diese große Verantwortung hatte tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. «Ich habe darum gebetet, dass dieser Tag niemals
     kommen möge», sagte er und bekreuzigte sich. «Wer ist das?», er starrte Iseult an.
    «Eine britonische Königin», antwortete ich.
    «Sie ist was?»
    «Eine Königin. Sie ist mit mir gekommen. Sie will Alfred sehen.»
    Ich weiß nicht, ob er mir glaubte, aber es schien ihn auch nicht zu kümmern. Stattdessen wirkte er fahrig und besorgt, was
     ich darauf zurückführte, dass er in einer seltsamen Welt aus königlichen Privilegien und leidenschaftlicher Frömmigkeit lebte
     und womöglich unter irgendeinem theologischen Disput litt. Er hatte, als ich noch ein Kind war, auf der Bebbanburg die Messe
     gelesen und war nach dem Tod meines Vaters aus Northumbrien geflohen, weil er ein Leben unter heidnischen Dänen nicht ertragen
     konnte. Mit Alfred, an dessen Hof er Zuflucht gefunden hatte, stand er auf gutem Fuß. Auch ich sah in ihm einen Freund, denn
     ihm war es zu verdanken, dass sich die Urkunden, die meinen Anspruch auf die Herrschaft über Bebbanburg bezeugten, in meinem
     Besitz befanden. Doch an jenem zwölften Tag nach Weihnachten war er alles andere |166| als erfreut darüber, mich zu sehen. Er zog mich am Arm zur Tür. «Wir müssen hinein», sagte er, «und möge Gott dich in seiner
     Gnade beschützen.»
    «Mich beschützen?»
    «Gott ist gnädig», antwortete Beocca, «und um diese Gnade solltest du beten.» Und dann öffneten die Wachen das Tor, und wir
     gingen in die große

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