Der weiße Reiter
weite Marsch öffnete. Wir hatten
das große Moorgebiet erreicht, und die Helligkeit, die ich aus der Ferne wahrgenommen hatte, stammte von zahllosen Tümpeln
und Wasserläufen, auf denen sich das Winterlicht spiegelte.
«Was nun?», fragte Leofric. Ich wusste keine Antwort, und so setzten wir uns unter eine vom Wind gebeugte Eibe, die voll roter
Beeren hing, und starrten auf die unermessliche Weite aus Sümpfen, Wasser, Gras und Schilf. Wenn ich nach Defnascir gelangen
wollte, musste ich diese Sümpfe, die sich von der Sæfern-See ins Inland erstreckten, entweder umgehen oder durchqueren. Sie
zu umgehen bedeutete, dass wir die Römerstraße benutzen müssten, wo die Dänen waren. Bei einem Marsch durch das Sumpfgebiet
würden uns andere Gefahren begegnen. Ich kannte zahllose Geschichten, von Männern, die sich in diesem feuchten Labyrinth verirrt
hatten. Es hieß, dass es dort Geister gab, Geister, die bei Nacht als flackernde Lichter in Erscheinung traten. Ich hatte
gehört, dass viele Pfade in Treibsand oder Moorlöchern endeten. Aber es gab dort auch Dörfer, deren Bewohner vom Fischfang
lebten. Die Moorleute wurden von den Geistern beschützt, aber auch von den Gezeiten, die mit ihren schnellen Fluten eine Straße
im Nu versinken lassen konnten. Jetzt, da der letzte Schnee von den Schilfbänken taute und die Winterniederschläge Bäche und
Tümpel überquellen ließen, schien die Landschaft wie von einem Netz aus Wasser überzogen. Wenn aber die Flut stieg, verwandelte
sie sich in einen riesigen See mit vielen kleinen Inseln. Eine dieser Inseln lag nicht weit entfernt, und auf ihrer höchsten
Erhebung drängten sich ein paar Hütten aneinander. Dort würden wir etwas zu essen finden und |223| uns wärmen können, falls es uns gelänge, dort hinzukommen. Indem wir von Insel zu Insel zogen, mochte es uns sogar gelingen,
das ganze Sumpfgebiet zu durchqueren, doch das nähme viel mehr als einen Tag in Anspruch, und wir würden uns vor jeder Flut
in Sicherheit bringen müssen. Beim Anblick der langen, kalten Wasserläufe, die unter den schweren Wolken, die vom Meer aufzogen,
fast schwarz aussahen, sank mir der Mut, denn ich wusste nicht, wohin wir gehen sollten und warum, und was die Zukunft bringen
würde.
Während wir dort saßen, wurde es wieder kälter, und dann fiel leichter Schnee aus den dunklen Wolken. Es waren nur ein paar
Flocken, aber genug, um mich davon zu überzeugen, dass wir schnellstens einen Unterschlupf finden mussten. Vom nächstgelegenen
Marschendorf stiegen dünne Rauchsäulen auf, also war es bewohnt. «Da müssen wir hin», sagte ich und zeigte auf die kleine
Insel.
Die anderen aber starrten Richtung Westen, wo von den Bäumen am Fuß des Abhangs ein Schwarm Tauben aufgeflattert war. Sie
stiegen auf und flogen Kreise. «Da ist jemand», sagte Leofric.
Wir warteten. Die Tauben ließen sich auf den Bäumen weiter oben nieder. «Vielleicht ein Wildschwein», meinte ich.
«Vor einem Wildschwein fliegen Tauben nicht weg», widersprach Leofric. «Auch nicht vor Rotwild. Dort sind Menschen.»
Der Gedanke an Wildschweine und Hirsche erinnerte mich an meine Hunde. Was war aus ihnen geworden? Hatte Mildrith sie im Stich
gelassen? Dann fiel mir ein, dass ich ihr nicht einmal gesagt hatte, wo der Rest der Beute aus dem gekaperten Dänenschiff
versteckt war. Ich hatte in einer Ecke meines neuen Palas ein Loch ausgehoben und |224| das Gold und Silber unter dem Fundament vergraben – kein besonders kluges Versteck, denn die Dänen würden, wenn sie Oxton
erreichten, genau dort als Erstes suchen und mit ihren Speerspitzen prüfen, an welchen Stellen der Boden aufgegraben worden
war. Ein paar Enten flogen über uns hinweg. Der Schneefall hatte zugenommen und verschleierte den Blick auf die Marschen.
«Priester», sagte Leofric.
Zwischen den Bäumen im Westen waren sechs schwarzgekleidete Männer zum Vorschein gekommen. Offenbar versuchten auch sie das
kleine Dorf auf der winzigen Insel zu erreichen. Doch es war kein Pfad zu erkennen, und so folgten die Priester dem Saum der
Anhöhe und kamen auf uns zu. Trotz der Entfernung erkannte ich, dass einer von ihnen einen langen Stab trug, dessen oberes
Ende blinkte. Wahrscheinlich war es ein Bischofsstab mit einem schweren silbernen Kreuz. Drei andere schleppten schwere Bündel.
«Ob da was zu essen drin ist?», fragte Leofric hoffnungsvoll.
«Es sind Priester», knurrte ich. «Die bringen ihr Silber
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