Der weiße Reiter
Soldaten, die uns begleitet hatten. Darauf überließ |272| ich sie Elwides Barmherzigkeit und stieg mit Iseult zurück in den Kahn. Die Mündung des Pedredan war nur drei oder vier Meilen
entfernt, und weil der Brant so unverwechselbar war, hatte ich auch den Bootsmann zurückgelassen, damit er half, die Aale
zu häuten und zu räuchern.
Wir überquerten einen kleinen Fluss und stakten dann durch einen weiten Tümpel mit vielen Flachstellen, auf denen Strandhafer
wuchs. Bald war vor uns der Hügel von Cynuit zu erkennen, und ich erzählte Iseult die Geschichte vom Kampf gegen Ubba, während
ich uns über die Untiefen brachte. Zweimal lief der Kahn auf Grund, und ich musste ihn in tieferes Wasser schieben. Dann bemerkte
ich, dass die Ebbe kam, und machte den Kahn an einem morschen Pfahl fest. Zu Fuß durchquerten wir eine trockengefallene Ödnis
aus Morast und Algen. Wir mussten noch eine weite Strecke bei kaltem Gegenwind zurücklegen, erreichten aber schließlich das
steile Ufer des Pedredan und sahen von dort aus alles, was wir hatten sehen wollen. Die Dänen konnten uns auch sehen. Ich
war ohne Kettenhemd, aber mit meinen beiden Schwertern bewaffnet. An den Beleidigungen, die man uns über den Fluss hinweg
zubrüllte, störte ich mich nicht weiter. Ich zählte die Flotte durch und kam auf vierundzwanzig tierköpfige Schiffe. Sie lagen
an demselben Uferstreifen, an dem wir im Jahr zuvor Ubba besiegt hatten. Die verkohlten Wracks seiner niedergebrannten Schiffe
waren inzwischen bis zur Hälfte im Sand versunken.
«Wie viele Männer siehst du?», fragte ich Iseult.
Zwischen den Ruinen des Klosters, dort, wo Svein die Mönche erschlagen hatte, hielten sich nur wenige Dänen auf; die meisten
waren bei den Schiffen. «Nur die Männer?», fragte sie.
«Frauen und Kinder zählen nicht», antwortete ich. Zur |273| Gruppe der Dänen gehörten rund zwei Dutzend Frauen, die sich fast alle in das kleine Dorf weiter oben am Fluss zurückgezogen
hatten.
Iseult kannte die englischen Namen für große Zahlen nicht und beantwortete meine Frage, indem sie beide Hände sechsmal öffnete
und schloss. «Sechzig?», fragte ich und nickte dann. «Höchstens siebzig. Und am Ufer liegen vierundzwanzig Schiffe.» An ihrer
gerunzelten Stirn sah ich, dass sie nicht verstand, was ich damit sagen wollte. «Vierundzwanzig Schiffe, das heißt, die Dänen
haben ein Heer von achthundert oder neunhundert Männern. Diese sechzig oder siebzig Männer bewachen nur die Schiffe. Und die
anderen? Wo sind die anderen?», fragte ich mehr mich selbst und beobachtete, wie fünf Dänen ein kleineres Boot ins Wasser
schoben. Sie wollten den Fluss überqueren und uns gefangen nehmen. Doch ich hatte nicht vor, so lange zu warten. «Die anderen
sind bestimmt nach Süden gezogen», beantwortete ich meine eigene Frage. «Sie haben ihre Frauen zurückgelassen und sind auf
Raubzug gegangen. Sie brandschatzen, töten und raffen Reichtümer zusammen. Sie plündern Defnascir.»
«Sie kommen», sagte Iseult mit einem Blick auf die fünf Männer, die inzwischen in das kleine Boot gestiegen waren.
«Willst du, dass ich sie töte?»
«Könntest du das?», fragte sie und sah mich hoffnungsvoll an.
«Nein», antwortete ich, «also verschwinden wir.»
Wir machten uns auf den Rückweg über die weite Ebene aus Schlamm und Sand. Sie wirkte flach, doch wurde sie von flachen Rinnen
durchschnitten. Die Flut hatte eingesetzt, und das Wasser strömte aus dem Meer zurück und ergoss sich erstaunlich schnell
in das weite Schwemmland. |274| Die Sonne senkte sich hinter schwarze Wolken, der Wind trieb die Fluten von der Sæfern-See gurgelnd in die anschwellenden
Wasserläufe. Ich warf einen Blick über die Schulter zurück und sah, dass die fünf Dänen die Jagd auf uns abgebrochen hatten
und ans Westufer zurückgekehrt waren, wo sich ihre Lagerfeuer gegen die heraufziehende Abenddämmerung abhoben. «Ich kann unseren
Kahn nirgends sehen», sagte Iseult.
«Da drüben», sagte ich, war mir aber selbst nicht sicher, weil das abnehmende Licht alle Farben und Konturen auflöste und
wir unseren Kahn bei einem Schilfgebüsch angebunden hatten. Inzwischen sprangen wir von einem trockenen Fleck zum nächsten,
und die Flut stieg weiter, und die trockenen Stellen schrumpften, und dann liefen wir planschend durch das Wasser, und der
Wind trieb die Flut immer noch landeinwärts.
Die Gezeiten sind am Sæfern sehr stark. Ein Haus, bei
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