Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Jahren hatte man tagelang übers Land reiten können, ohne auf einen Menschen zu treffen. Doch bereits am Abend erreichte Walther eine Farm, die so aussah, als wäre sie erst vor kurzem gegründet worden. Der Besitzer, ein lang aufgeschossener Mann, musterte ihn misstrauisch über den Lauf seiner Büchse hinweg.
»Wer sind Sie und was wollen Sie?«, fragte er.
»Ich bin Colonel Fitchner und reite nach Washington-on-the-Brazos.« Walther hatte gelernt, dass militärische Ränge bei den Nordamerikanern beinahe ebenso angesehen waren wie Adelstitel in der alten Welt. Allerdings musste er seinen Namen so ändern, dass er für angloamerikanische Zungen auch auszusprechen war. So war aus Fichtner Fitchner geworden. Auf jeden Fall beeindruckte er den Farmer.
»Habe von Ihnen gehört! Sie waren am San Jacinto River dabei.«
»Das war ich, und jetzt reite ich zu Sam Houston, um meine Landrechte und die meiner Männer eintragen zu lassen«, sagte Walther freundlich.
»Aber nicht hier! Hier siedle ich!« Der Ton wurde wieder unfreundlich.
»Unsere Farmen liegen am Rio Colorado, und dort soll auch das neue Land liegen.«
Walthers Antwort beruhigte den Mann, und er fragte: »Wollen Sie hier übernachten?«
»Gerne! Immerhin sind wir nach texanischen Verhältnissen enge Nachbarn, auch wenn ich von meiner Farm zu der Ihren anderthalb Tage stramm reiten muss!« Lächelnd stieg Walther vom Pferd, versorgte es und folgte dem Farmer in sein Haus. Dort hatte dessen Frau bereits den Abendbrottisch gedeckt. Ein zwölfjähriger Junge half ihr dabei. Es ist fast wie damals bei Andreas Belcher, fuhr es Walther durch den Kopf. Er musste diesen und dessen Frau Anneliese bald besuchen und ihnen sein Beileid zum Tod ihres jüngeren Sohnes bei Alamo aussprechen. Dieses Schicksal, so hoffte er, blieb diesem Paar hier erspart.
Beim Essen verdichtete sich seine Annahme, dass der Mann sich hier wild angesiedelt hatte. Dies hieß jedoch, dass ein anderer, der das Land hier auf sich eintragen ließ, ihn jederzeit verjagen konnte.
»Sie sollten auch zu Houston gehen und die Sache erledigen«, forderte er den Farmer auf. »Der Staat verkauft das Land billig an die, die es wollen.«
»Kaufen?« Der Mann lachte spöttisch auf. »Warum sollte ich das Land kaufen? Ich fordere mein Recht als Siedler, der diese Wildnis hier urbar gemacht hat. Das kann mir niemand verwehren!«
Walther gab es auf, dem Mann Ratschläge zu erteilen. Dafür war dieser zu sehr in die Ansicht verbohrt, das Land gehöre demjenigen, der es sich als Erster nahm. Andreas Belcher und die Menschen, die Stephen Austin nach Texas gefolgt waren, hatten dies im Rahmen fester Gesetze und Regeln getan. Doch der Mann hier gehörte zu einer neuen Generation von Siedlern, die sich niemals mit mexikanischen Behörden hatten herumschlagen müssen und die auch nicht gelernt hatten, auf andere Rücksicht zu nehmen.
Daher schied er am nächsten Morgen ohne Bedauern von seinen Gastgebern und ritt weiter auf Washington-on-the-Brazos zu.
4.
V or dem Krieg war die Stadt weitaus kleiner gewesen als San Felipe de Austin. Nun aber standen hier etliche neue Häuser oder befanden sich im Bau. Die meisten waren schlichte Bretterhütten, die Walthers Ansicht nach keinem einzigen Sturm standhalten würden. Es gab mehrere Stores, Gasthäuser, einen Barbier und andere Geschäfte. Auffallend war eines: Alle Schilder waren in Englisch beschriftet, und auf kaum einem stand auch die spanische Bezeichnung. Besser hätten die Americanos, wie die Mexikaner sie nannten, nicht deutlich machen können, wer nun der Herr in Texas war.
Walther fielen Hernando de Gamuzanas Klagen ein. Dieser hatte die Männer aus dem Norden ein ungeschliffenes, ruppiges Volk genannt, das mit der Büchse in der Hand betete und dabei überlegte, wie es seinen Vorteil mehren konnte. Dann aber zuckte er mit den Schultern. Es brachte nichts, der Vergangenheit nachzutrauern, denn die Gegenwart musste bewältigt und die Zukunft gewonnen werden.
Mit diesem Gedanken hielt er vor einem Mietstall an, übergab einem Knecht seinen Hengst und ging auf die Bretterbude zu, die ein prahlerisches Schild als Country House bezeichnete.
Die dort wartenden Männer erkannten ihn sofort, und er vernahm, wie sein Name umging. Als Colonel Fitchner musste er auch nicht lange warten, sondern wurde bald zu Sam Houston geführt.
Dieser flegelte sich auf einem Stuhl, ein halb volles Glas in der Hand und eine halb volle Flasche vor sich auf dem Tisch, und
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