Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
begriff sie, was er meinte, und verkroch sich mit hängendem Kopf im Gebüsch. Fahles Haar war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Nicht einmal die Komantschen hatten sie je mit einem Seil festgebunden. Für ihren neuen Herrn war sie jedoch kein Mensch, sondern nur ein Tier, das zufällig wie ein Mensch aussah. Da sie Angst hatte, er würde sie wieder herausziehen, wenn sie zu lang ausblieb, beeilte sie sich und folgte dann dem Seil wieder nach draußen. Mittlerweile schmerzte sie von dem scharfen Ritt jeder Knochen, und sie war zu schwach, um sich auf den Pferderücken zu ziehen.
Da packte Fahles Haar sie kurzerhand bei den Hüften, hob sie hinauf und schwang sich danach auf seinen eigenen Mustang. Noch während sie die Finger in die Mähne der Stute verkrallte, um in ihrer Müdigkeit nicht herabzufallen, ging es weiter. Zum Glück konnte der Mann in der Nacht nicht mehr so rasch reiten wie am Tag. Doch wie ein Geist der Prärie strebte er vorwärts, ohne die geringste Rücksicht auf sie zu nehmen.
Wie lange der Ritt schließlich dauerte, hätte Nizhoni nicht zu sagen vermocht. Sie merkte kaum, wie sich im Osten der neue Morgen erhob und einen sonnigen Tag versprach. Nur einmal legte Fahles Haar eine kurze Pause ein, damit die Tiere saufen und ein wenig Gras fressen konnten. Dabei forderte er sie auf, sich erneut ins Gebüsch zu begeben. Sie war zu müde und zerschlagen, um mehr als zwei Schritte weit eindringen zu können, und schlief beinahe im Hocken ein.
Ein heftiges Zerren an der Leine riss sie wieder hoch. Sie wankte ins Freie, ließ sich von Fahles Haar auf die Stute heben und starrte mit tränenblinden Augen vor sich hin. Erneut vergingen Stunden, in denen ihr Herr die Pferde immer wieder vom Trab zu einem leichten Galopp antrieb. Irgendwann kam ein hässliches Gebilde aus Holz in Sicht, und genau darauf hielt Fahles Haar zu.
Walther war erleichtert, als er die Farm vor sich sah. Der Ritt hatte ihm alles abverlangt, und die Indianerin wirkte ebenfalls restlos erschöpft. Für einen Moment bedauerte er, dass er nicht mehr Rücksicht auf sie hatte nehmen können. Doch es ging um Gisela und um seinen Sohn. Hoffentlich lebt der Kleine noch!, dachte er voller Unruhe, als er die Pferde vor dem Haus anhielt und mit steifen Bewegungen aus dem Sattel stieg.
Die Tür ging auf, und Rosita und Arlette stürmten heraus. »Haben Sie eine Indianerin gefunden, die unseren Kleinen stillen kann?«, fragte die Mexikanerin zu Walthers Erleichterung.
Dann sah Rosita Nizhoni und rümpfte die Nase. Die junge Frau hatte sich seit der Geburt ihres Kindes nicht mehr gewaschen und war nach dem harten Ritt von einer dicken Staubkruste bedeckt.
»Bei Gott, ist die dreckig!«, stieß Rosita hervor. »So können wir ihr unseren Kleinen nicht anvertrauen. Komm, Arlette, wir waschen sie! Dann holst du aus Giselas Sachen einen Kittel, den wir ihr überstreifen können.«
Ehe Nizhoni sich versah, zerrten die beiden Frauen sie vom Mustang herab und schleppten sie zu dem hölzernen Trog, in dem Gisela sonst die Schmutzwäsche einweichte. Obwohl die junge Indianerin sich sträubte, zogen sie ihr das Lederhemd über den Kopf, nahmen ihr die Halskette aus Gräsersamen und ihr Stirnband ab und begannen, sie von oben bis unten abzuschrubben.
Walther sah ihnen einen Augenblick lang zu, schämte sich dann aber, die nackte Indianerin anzustarren, und ging ins Haus. Er wusste, dass er nicht weniger schmutzig aussah als Nizhoni, aber er wollte Gisela beruhigen.
Diese lag noch immer im Bett und wirkte so bleich und schmal, dass es ihm das Herz zusammenzog. »Was ist mit dir, mein Liebes?«, fragte er besorgt.
»Walther! Wie schön, dass du wieder hier bist.« Zu fragen, ob er eine Amme für den kleinen Josef gefunden hätte, wagte Gisela nicht. Dann aber erinnerte sie sich an seine Frage und lächelte schmerzlich.
»Ich bin noch ein wenig schwach nach der schweren Geburt, doch werde ich bald wieder auf den Beinen sein. Rosita und Arlette versorgen mich sehr gut. Leider musste Gertrude wieder zu den Poulains zurück, weil Charlotte sich die Hand mit heißem Wasser verbrüht hat und es wohl einige Zeit dauern wird, bis sie wieder ihre Arbeiten erledigen kann. Die Arme ist wirklich zu bedauern, zuerst der Schlangenbiss – und nun das.«
Walther war zu müde, um die Poulains zu bemitleiden. »Schade«, meinte er daher und wies nach draußen. »Ich habe eine Indianerin mitgebracht und hoffe, sie kann den kleinen Josef nähren. Wie geht es
Weitere Kostenlose Bücher