Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
von Gott viel zu früh von dieser Welt abberufen worden. Seitdem hatte sie Angst, es könne ihr ebenso ergehen, und sie flehte Gott an, ihr wenigstens noch so viele Jahre zu schenken, dass sie ein paar weitere Kinder zur Welt bringen konnte.
Obwohl sie nicht die geringste Lust empfand, zog sie ihr Hemd hoch und drängte sich an Walther. Dieser hatte lange genug gedarbt und musste sich zurückhalten, um nicht zu heftig zu werden. Ohne zu bemerken, wie matt seine Frau sich fühlte, streichelte er sie und küsste ihre kühlen Lippen. Nach einer Weile schob er sich zwischen ihre Beine und drang vorsichtig in sie ein. Es war das erste Mal seit der Geburt des Jungen, dass er ihr beiwohnte, und er hatte sich gefragt, wie es wohl sein würde. Doch ihr Leib war genauso weich wie früher, und er genoss es, sich endlich wieder als Mann beweisen zu können.
Danach überlegte er, ob er Gisela auffordern sollte, wach zu bleiben, bis er ein zweites Mal in der Lage war, sie zu lieben. Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Er hatte noch genug Gelegenheit, sich an ihr zu erfreuen. Nach einem letzten Kuss glitt er von ihr herab und schmiegte sich an sie.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
»Ich liebe dich auch – mehr als mein Leben«, antwortete Gisela und fühlte sich trotz ihrer Schwäche so glücklich wie lange nicht.
Am nächsten Morgen ging es ihr jedoch schlecht. Um es Walther nicht zu zeigen, quälte sie sich hoch und bereitete das Frühstück zu. Nizhoni half ihr zunächst schweigend. Doch kaum hatten Pepe und Walther gegessen und das Haus verlassen, blieb sie vor Gisela stehen.
»Du bist dumm!«, erklärte sie in dem Gemisch aus Deutsch, Spanisch und Navajo, das sie und Gisela sich für ihre Verständigung angewöhnt hatten. »Wenn dein Mann dir ein Kind macht, ist dein Leib zu schwach, es auszutragen. Danach wirst du noch kränker sein als jetzt.«
Gisela kämpfte gegen den Gedanken an, ihre Freundin könnte recht behalten. Dann schüttelte sie energisch den Kopf. »Da Walther wieder hier ist, wird es mir bald bessergehen.«
»Du bist krank! Du darfst kein Kind mehr bekommen.«
»Ich muss!«, antwortete Gisela mit schmerzhaft verzogener Miene.
Sie trat zu Josef und streichelte ihm sanft über die Wange. Das Lächeln des Kindes drang tief in ihr Herz, und sie spürte, dass sie es nicht hätte ertragen können, den Jungen zu verlieren. Spontan zog sie Nizhoni an sich und hielt sie fest.
»Ich danke dir für alles!«
Ihr Gefühlsausbruch überraschte die Navajo. »Du musst mir nicht danken. Ich bin froh, nicht mehr den Komantschen dienen zu müssen. Auch hast du mir mit deinem Sohn eine Aufgabe übertragen, die die Trauer aus meinem Herzen vertrieben hat. Ich weiß, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Darum warne ich dich.«
»Du meinst es gut mit mir, aber ich muss meinen Weg gehen.« Gisela ließ Nizhoni seufzend los und begann, den Tisch abzuräumen. »Wir müssen noch einiges erledigen, bis ich mit Walther nach San Felipe de Austin reisen kann. Glaubst du wirklich, dass du allein zurechtkommen wirst?«
»Ich muss nicht viel mehr tun als kochen und Josef füttern. Das werde ich wohl noch schaffen.«
»Natürlich wirst du es schaffen«, sagte Gisela etwas munterer. Sie wusste, dass Nizhoni es nicht dabei belassen würde. Dafür war diese zu sehr gewohnt, ihre Hände zu rühren. Wenn sie und Walther zurückkamen, würde es weitere Körbe, Schalen und Schüsseln geben und noch mehr Kräuter und Beeren, die an den Stangen unter der Decke trockneten. Auch im Garten würde es besser aussehen, als wenn Pepe allein darin werkelte.
»Ich bringe dir etwas Schönes mit«, versprach sie und machte sich dann an die Arbeit. Tatsächlich ging es ihr etwas besser, und sie schöpfte Hoffnung, dass Gott ihr die Kraft und die Zeit schenken würde, die sie brauchte.
9.
V ier Tage später konnten Gisela und Walther aufbrechen. Thierry Coureur war schon am Abend zuvor eingetroffen. Er würde einen der Mustangs reiten, während Walthers Reittier, das die Komantschen während seiner Abwesenheit zurückgebracht hatten, die ungewohnte Rolle zugewiesen bekam, den Wagen zu ziehen, damit der knochige Wallach, den er als Zugtier mitgebracht hatte, sich eine Weile bei besserem Futter erholen konnte.
Einige Nachbarn verabschiedeten sie, und Albert Poulain warnte sie eindringlich davor, Jemelin oder anderen Mexikanern zu sagen, was sie vorhatten. »Es herrscht sehr viel Abneigung zwischen Gamuzanas Leuten und den Amerikanern«,
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